I. Liechtenstein im 19. Jahrhundert
Mit seiner Auswanderung steht Joseph Batliner am Beginn mehrerer
Auswanderungswellen, in deren Verlauf im 19. Jahrhundert viele hun-
dert Personen - alleinstehende Mànner und Frauen, aber auch ganze
Familien - ihr Heil in Amerika gesucht haben. Um zu verstehen, was
sie bewogen hat, ihrer Heimat den Rücken zu kehren, muss man sich
vergegenwärtigen, in welchen wirtschaftlichen und politischen Ver-
hültnissen die Menschen in Liechtenstein in jener Zeit leben mussten."
Landwirtschaftliche Monokultur
Als Joseph Batliner als über dreissigjiáhriger Mann auswanderte, grün-
dete sich der Existenzkampf in Liechtenstein vornehmlich auf die
Landwirtschaft. Die Bauern waren Selbstversorger; Milch, Mais und
Kartoffeln bildeten die Grundnahrungsmittel, Fleisch — gewôhnlich
Gerduchertes — kam selten auf den Tisch. Kleidung wurde meist aus
selbstgesponnenem Garn und selbstgewobener Leinwand hergestellt.
Der Verkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen - zumeist Vieh und
Wein - war lange nahezu die einzige Erwerbsquelle der liechtensteini-
schen Bevólkerung.
Die Bauern mussten ihre Felder, Weiden und Weinberge in stetem
Kampf vor der Verwüstung durch Rüfen oder vor der Versumpfung
durch die Rheinfluten schützen. Wüáhrend mehrerer Wochen im Jahr
hatte sich jeder Bauer mit seiner Arbeitskraft und seinem Fuhrwerk in
den Dienst der gemeinsamen Sache zu stellen und bei der Errichtung
von Schutzbauten gegen Rhein und Rüfen sowie beim Strassenbau
mitzuhelfen. Neben diesen Fronarbeiten lasteten auf der Bevölkerung
geistliche und weltliche Zehnten sowie Feudallasten, die immer wieder
Anlass zu öffentlicher Kritik gaben.
Rheinnot und Hunger
Zudem wurde die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit
Lebensmitteln zunehmend schwieriger. Die Verbesserung der Er-
nährung durch den Anbau von Mais und Kartoffeln? sowie die Fort-
schritte in der medizinischen Versorgung"? führten zu einem Rückgang
der Kindersterblichkeit und zu einer Erhóhung der Lebenserwartung.
Zwischen 1750 und 1800 war die Einwohnerzahl um 20 Prozent von
4'500 auf 5'400 angestiegen; bis 1850 kletterte sie um weitere 37 Pro-
zent auf 7400 Personen. Hungersnóte waren die Folge. Nach dem
Hungerjahr 1817 erlitt Liechtenstein 1846 nach einer grossen Rhein-
überschwemmung eine neue Versorgungskrise. Zwolf Quadratkilome-
ter Acker- und Wiesland standen unter Wasser oder waren mit
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