die betr. Behörden auf dieser Meinung zu belassen, damit nicht Aus-
wanderungen, die voraussichtlich in nächster Zeit infolge der wirt-
schaftlichen Depression einsetzen, gehemmt werden.»*?
Die Vorahnung der Regierung sollte sich bewahrheiten: In den zehn
Jahren von 1920 bis 1929 sind insgesamt 160 Fälle von Auswande
rung in die USA registriert. Es waren meist alleinstehende junge Frau-
en und Männer. Dann, im Jahr des Börsenkrachs und der beginnenden
Weltwirtschaftskrise, gingen die Auswanderungen schlagartig zurück
und beschränkten sich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs auf rund
zwei Dutzend Fälle. 3%
Wie dies bereits im 19. Jahrhundert zu beobachten gewesen war,
siedelten sich auch bei dieser neuen Auswanderungswelle zahlreiche
Liechtensteiner am gleichen Ort an. Nun waren allerdings nicht mehr
ländliche Gegenden ihr Ziel, sondern städtische Agglomerationen, wo
die Arbeitsplätze zahlreicher waren. Besondere Anziehungskraft
übten Chicago und das an der südöstlichen Stadtgrenze gelegene Ham-
mond (Indiana) aus. Kleinere Liechtensteiner Konzentrationen bilde-
ten sich aber auch in der Region von Cincinnati (Ohio) und in Milwau-
kee (Wisconsin). Neben diesen Hauptpunkten verteilten sich die Ein-
wanderer — viel mehr als im Jahrhundert zuvor — über das gesamte
Territorium der Vereinigten Staaten, von New York bis Los Angeles
und von der kanadischen Grenze bis hinunter nach Florida.
Hammond - Ziel vieler Hoffnungen und Enttäuschungen
Am 5. November 1924 stand die 19jährige Luzia Batliner aus Mauren
mit ihren Koffern völlig hilflos auf dem Bahnhof in Hammond. Aus
ırgendeinem Grund war ihr Bruder Arnold, der bereits im Jahr zuvor
nach Hammond ausgewandert war, nicht am Bahnhof erschienen, um
sie abzuholen. Luzia sprach kein Wort englisch, hatte keine Wohn:
adresse ihres Bruders, und auf dem Zettel, den sie in ihrer Hand hielt,
war lediglich eine Postfachadresse in englischer Sprache notiert. Mit-
leidige Passanten machten schliesslich einen Polizisten auf die ver-
zweifelte Frau aufmerksam, der sie zum nächsten Postamt mitnahm,
um die Adresse des Postfachinhabers herauszufinden. Als der hilfsbe
reite Polizist daraufhin von einem Laden aus bei Arnold Batliner anru-
{en wollte, kam ihnen dieser auf der Strasse zusammen mit einem wei-
teren Liechtensteiner — Lukas Matt, ebenfalls 1923 aus Mauren ausge:
wandert - entgegen. Luzia Batliner war endlich am Ziel ihrer Reise.
Ihre Geschichte ist typisch für viele Liechtensteinerinnen und
Liechtensteiner, die in jenen Jahren in Amerika ihr Glück suchten. Die
meisten sprachen kein Wort englisch, und manche hatten nicht einmal
einen Beruf erlernt. Alle aber dachten, in Amerika sei das Geld leichter
zu verdienen als zu Hause. Ihre Erwartungen erwiesen sich als trüge-
fl
Auswanderung im 20. Jahrhundert