legen, in seinem Epos den göttlichen Ursprung des Römischen Weltreiches
aufzuzeigen.
Peter Paul Rubens verewigt in seinem Gemälde den kurzen Moment
der ersten Berührung zwischen Mars und Rhea Silvia, zwischen einem Un-
sterblichen und einer Sterblichen. Wie ungestüm der Gott, auf einer Wolke
daher eilend, sich der von ihm begehrten Frau auch nähert, wie verlangend
sich sein Blick auch auf ihr Antlitz heftet — nicht mit Gewalt greift seine
große Hand nach ihrem Arm. Es scheint, als sei nur er sich seiner Gefühle
sicher, denn im Gesicht der Frau zeigt sich ein Zwiespalt, der ihr Herz be-
wegt, auf welches sie die Rechte legt. Nur allzu gut weiß sie, daß Mars un-
statthaft ein Heiligtum betritt, welches einer Göttin geweiht ist, deren Prie-
sterinnen das Gelübde der Keuschheit abgelegt haben. Sie weiß, daß es auch
ihr selbst untersagt ist, ein männliches Wesen zu lieben. Doch war Rhea
Silvia nicht Priesterin aus eigenem Entschluß. Amulius, ihres Vaters Bruder,
bestimmte sie, nachdem er Numitor vom Thron verdrängt hatte, für dieses
Amt, da er die Rache ihrer männlichen Nachkommen fürchtete. In der Tat
sollten Romulus und Remus den Amulius später töten und Numitor, ihren
Großvater, wieder in seine alten Rechte einsetzen. Da also Rhea Silvia nicht
selbst sich Keuschheit auferlegt hatte, mochte in ihr der Sinn für die Liebe
zu einem Manne durchaus lebendig geblieben sein. So ist denkbar, daß sich
in das Gefühl der Furcht und des Widerstrebens, welches Mars in ihr mit se1-
nem stürmischen Erscheinen auslöste, zugleich auch das Gefühl der Zunei-
gung mischte und damit eben jenen spontanen Zwiespalt zwischen Abwehr
und Hingabe erwirkte, der sich auf ihrem Gesicht den allersinnlichsten Aus-
druck verschafft.
Um keinen Zweifel an der guten Absicht des Kriegsgottes im Bild-
betrachter aufkommen zu lassen,? überläßt Rubens den Helm des Mars ei-
nem Putto. Der Liebende präsentiert sich barhäuptig. Vor allem aber stellt
der Maler den Liebesgott Amor in die Mitte des Geschehens, so daß dieser
mit seinen Armen zwischen Mann und Frau eine Brücke bildet. Man könnte
den Eindruck gewinnen, als sei Amor längst bei Rhea Silvia gewesen — so
vertraulich schmiegt sich sein kleiner Körper an den ihren —, bevor ihr Mars
entgegentrat. Auch sie ist schon vom Gott der Liebe berührt, im eigentli-
chen wie im übertragenen Sinn des Wortes.
Um auch den Ort der Handlung verständlich zu charakterisieren, be-
mühte Rubens das aktuelle philologische Wissen seiner Zeit.” Auf dem von
zwei Sphingen gestützten Altar brennt das ewige Feuer der Vesta, jener Göt
tin, die, ganz im Unterschied zu Mars, als einzige der großen antiken Göt-
ter niemals an Kriegen und Streitigkeiten beteiligt war. So wirkten schon in
die Anfänge des römischen Staates das Kriegerische und das Friedliche, das
Imperiale und das Häusliche hinein. Von Vesta aber gibt es kein Bildnis mit
menschlichen Zügen.‘ Vielmehr kennzeichnet das Standbild der Göttin
Athena mit Helm, Schild und Lanze, das Palladium, ihr Heiligtum, und eben
dies konnte Rubens aus dem Werk De Vesta et Vestalibus Syntagma (Antwer-
pen 1605) seines Freundes Justus Lipsius (1547-1606) erfahren. Dort heißt
es: «Die Vestalinnen pflegten und hüteten auch das Pfand des Reiches. Dies
wird verschieden ausgelegt; die meisten Erklärer freilich beziehen es auf das
Bild der Athene. Was hat es mit diesem Palladium auf sich, woher kommt es,