den untrüglichen Ratschluß werde ich allen in dem üppigen Tempel ver-
künden.»* Diesen Tempel zierte die griechische Inschrift «Gnothi seauton»,
«Erkenne dich selbst», denn, so schreibt Nietzsche (1844-1900), «Apollon, als
ethische Gottheit, fordert von den Seinigen das Maß und, um es einhalten
zu können, die Selbsterkenntnis. Und so läuft neben der ästhetischen Not-
wendigkeit der Schönheit die Forderung des «Erkenne dich selbst und des
(Nicht zu vielb her...»
Wenn wir Gagginis Bildnis des Apollon in seiner künstlerischen Qua-
lität und Bedeutung auch nicht überschätzen wollen, so veranschaulicht es
doch gleichwohl spezifische Eigenschaften des Gottes, die noch heute die
Vorstellungskraft der Menschen beherrschen, und sei es nur deshalb, weil mit
dieser Büste zugleich das eine oder andere Werk der Antike vor unser gei-
stiges Auge tritt — nicht zuletzt jenes des Apollon vom Belvedere im Vatikan —
welches diesen Eigenschaften schon lange zuvor gültigen Ausdruck verlie-
hen hatte. Gaggini wußte um die großen Schöpfungen der Vergangenheit
und ließ ihre Formen in sein eigenes Werk einfließen. Es besteht kein Zwei-
fel, daß er sich Apollon als fest umrissene und schöne, als lichte und feierli-
che Gestalt vorstellte, als eine nicht den Bedingungen des Augenblicks un-
terworfene, sondern sich ihrer Erhabenheit und Unsterblichkeit bewußt
zeiende Gottheit, die ihre Gedanken auf ferne, nur ihr bekannte künftige
Wahrheiten richtet.
i2 Apollon und Diana töten den Python
]n unmittelbarer Nähe des von Apollon errichteten Tempels floß ein
schöner Quell. Dort vollbrachte der junge Gott seine erste heroische Tat,
denn es lebte an diesem Ort ein riesiges Ungeheuer, Python, welches den
Tieren und Menschen «ein blutiger Schrecken» war.' Apollon tötete es mit
seinen Pfeilen, mit denen er zuvor, wie Ovid schreibt, nur Rehe und Dam-
hirsche erlegt hatte, «Und damit die Zeit den Ruhm nicht auslösche», denn
der Gott war stolz auf seinen Sieg über das Ungeheuer, «setzte er die heili-
gen Spiele mit ihren vielbesuchten Wettkämpfen ein, die nach der besiegten
Schlange die pythischen heißen.»
Wie oft auch Ovid für Franceschini, den Maler, die literarische Quelle
seines im Auftrag des Fürsten Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein ge-
schaffenen Bilderzyklus gewesen sein mag? — von Diana ist bei dem Römer
im Zusammenhang mit der Tötung des Python keine Rede. Allein Apollon
vernichtete das schreckliche Tier, welches Gäa, die Erde, unmittelbar nach
der Sintflut aus dem von Sonnenstrahlen erwärmten Schlamm hervor-
gebracht hatte. Marcantonio Franceschini aber schließt Diana, die Schwester
Apollons, in das Geschehen mit ein und läßt beide gemeinsam das Übel be-
zwingen. Doch auch hierfür konnte der Maler aus schriftlichen Quellen
schöpfen.* Die Anwesenheit Dianas muß ihm im Sinne einer vielfältigeren
und kontrastreicheren Bildgestaltung willkommen gewesen sein. Während
Apollon leicht nach vorne geneigt steht und mit angespannter Muskulatur
seinen Bogen auf den Python richtet, kniet Diana am Boden und scheint
2
Marcantonio Franceschini
1648-1729)
Apollon und Diana
:‚öten den Python
1692-1700)
Leinwand; 176 x 209,2 cm
av. Nr.G 1
Irworben: vor 1700 nach Auftrag
durch Fürst Johann Adam Andreas 1
vom Künstler