Bei aller Gefahr, welche Diana hier verkörpern könnte, hat die Szene selbst
doch nichts Bedrohliches. Im Gegenteil, alles zeigt sich in fruchtbarer Fülle
und das dämmrige Licht erzeugt eine friedvolle Stimmung. Entlang des
Baumstammes, der hinter der Mutter und ihren zwei Kindern aufragt,
schlängelt sich immergrünes Efeu, das mit dem Leben im Bunde steht. Tritt
Diana vielleicht gar als Beschützerin der jungen Mutter auf? Auch diese
Frage, die immerhin nicht ganz unstatthaft erscheint, bleibt unbeantwortet.
denn jeder stimmigen Auslegung stellt sich sofort ein widersprüchliches Ele-
ment in den Weg. So mag denn der dem Bild verliehene Titel hier unter
Vorbehalt akzeptiert werden.
Apollon
Streng und erhaben ist die Erscheinung Apollons in der Marmorbü-
ste des genuesischen Bildhauers Giuseppe Gaggini, und doch entbehren die
Gesichtszüge des Gottes, bei aller Unnahbarkeit, die sie ausstrahlen mögen,
nicht einer gewissen Sinnlichkeit. Der klassizistisch glatten Formensprache
im Ganzen wirkt eine um Weichheit bemühte Oberflächenbehandlung im
Detail durchaus wohltuend entgegen. Obschon weißer Marmor von Künst-
lern fast aller Epochen für sehr unterschiedliche Gestalten verwendet wurde
— seien sie mythologisch, historisch oder allegorisch —, so veranschaulicht die
Farbe des Gesteins hier doch auch ein Wesensmerkmal Apollons, der «seiner
Wurzel nach der «Scheinende», die Lichtgottheit» war, die den «schönen
Schein der inneren Phantasie-Welt» beherrschte.! Seit dem fünften vor
christlichen Jahrhundert wurde er auch mit dem Sonnengott identifiziert
Apollon war eine der schönsten und gewaltigsten Gottheiten der an-
üken Glaubenswelt. Wenn er sich dem Hause des Zeus, seines Vaters, näherte,
dann erhoben sich die ihn fürchtenden Götter alle von ihren Sitzen. Nur
Leto, seine Mutter, ging ihm furchtlos entgegen und nahm ihm Bogen und
Köcher von den Schultern, voller Freude, den starken Sohn, zusammen mit
Artemis, seiner Zwillingsschwester, geboren zu haben.“
Delos, die kleine, unscheinbare Insel im ägäischen Meer, auf welcher
Apollon zur Welt kam, war besorgt um ihr Schicksal: «Übergewaltig und
wild, so sagt man, würde Apollon sein und würde mächtig die ewigen Göt-
ter im Himmel und die sterblichen Menschen auf nährender Scholle beherr-
schen. Darum ist mein Herz von Furcht und Sorge befallen, ob er, sobald er
einmal das Licht der Sonne gesehen, nicht die Insel mißachte, denn ich bin
steinig und öde, und mich mit den Füßen kopfüber stoße in Tiefen des Mee
res.»* Doch der Gott war der Insel gewogen und liebte sie von allen am mei-
sten. Gewiß galt Apollon als der Bringer von Übeln. Auch schrieb man ihm
den plötzlichen, aber natürlichen Tod der Männer zu, wie Artemis den Tod
der Frauen. Er vermochte jedoch die Übel, insbesondere Krankheiten, wie-
der zu vertreiben, denn er war der Schutzheilige der Medizin. Mit Koronis
zeugte er Asklepios, den Gott der Heilkunst. Apollon war aber vor allem der
Gott der prophetischen Weissagung und der Künste, der Musik im besonde-
ren. Gaggini kannte die Bedeutung des Lorbeer für Apollon, denn er
1
Giuseppe Gaggini (ca. 1643-1713)
Apollon
‘Genua, ca. 16901700)
Marmor; Höhe: 74 cm
Bezeichnet vorne auf dem Haar-
band: APPOLLO;
rückseitig: IOSEPH GAGINO
SCVLPSIT
Inv. Nr. 5 16
Erworben: vermutlich vor 1712
durch Fürst Tohann Adam Andreas |