welchem wir vermutlich dessen Onkel Plexippus erkennen dürfen, keinen
überzeugenden Körper zu geben, und noch immer wüßten wir gerne, zu
wem wohl das Händepaar gehört, das sich unter den Armen des Plexippus
dem Eberkopf entgegenstreckt.
9 Meleager
Susinis Bronze stellt Meleager als athletischen jungen Mann im ge-
fälligen und sammlerfreundlichen Kleinformat dar. Von gewaltiger Größe ist
hingegen das antike Vorbild, auf das Susini zurückgriff — eine mehr als zwei
Meter hohe Marmorskulptur,! geschaffen von einem römischen Kopisten
nach einem um 340 v. Chr. entstandenen Original des griechischen Bild-
hauers Skopas. Der antike Kopist fügte «seinem» Meleager den mantelarti-
gen Überwurf, die Chlamys, hinzu, wie auch den Hund und den auf einem
Baumstumpf ruhenden Eberkopf. Susini übernahm diese Motive und ver-
änderte gleichwohl das Ensemble in wichtigen Details. Gegenüber dem Vor-
bild erweist sich der liechtensteinische Meleager als weniger heroisch. Ei-
genartig steif, fast ungelenk, ist das rechte Standbein ausgestellt, was dem
Körper eine leichte Instabilität verleiht, und die Mimik des Mannes läßt eher
auf besorgte Empfindsamkeit als auf kämpferische Entschlossenheit deuten.
So stehen denn auch die Attribute — der zähnefletschende Hund, der hau-
erbewehrte Eberkopf und der wildbewegte Überwurf — in einem seltsamen
Kontrast zur fast schon elegisch anmutenden Erscheinung des Meleager. Die
linke Hand des Mannes muß beim griechischen Original eine Funktion ge-
habt haben, die schon der römische Kopist vielleicht nicht mehr verstand,
und auch bei Susini wirkt ihre Haltung sonderbar unmotiviert. Es scheint,
als sei sich Meleager seiner eigenen heroischen Tat nicht recht bewußt, die
ebenso unmittelbar wie überzeugend aus dem Habitus des antiken Vorbil-
des herauszulesen ist.
Blickt man auf die Lebensgeschichte des Meleager, so stand durchaus
von Anbeginn ein ungünstiger Stern über ihm, und gerade die unbe-
herrschte Seite seines Heldenmutes wurde ihm schließlich zum tragischen
Verhängnis. Als Althaea nach der Geburt ihres Sohnes Meleager im Kindbett
lag, da warfen die Parzen, die Schicksalsgöttinnen, welche selbst über Jupiter
standen,? aus einem nur ihnen vertrauten Grund ein Holzscheit ins Feuer
und sprachen, indem sie den Schicksalsfaden spannen und den Ort verlie-
Den: «Wir geben dir, du Neugeborener, dieselbe Lebenszeit wie diesem
Holz.» Sofort rif die Mutter das Scheit aus den Flammen, besprengte es mit
Wasser und hütete es in ihrem Haus. Fortan schützte der sichere Hort des
Holzes Meleager vor dem Tod. Doch Althaea selbst griff, voller Zorn und
Rachegelüste, nach diesem Scheit, als sie vernahm, daf der eigene Sohn ihre
Brüder Plexippus und Toxeus nach der Jagd auf den kalydonischen Eber ge-
tótet hatte. Schon war sie bereit, das Holz ins Feuer zu werfen, als sich den
Gefühlen der Schwester die Gefühle der Mutter in den Weg stellten, die zwar
die Tat verzógerten, doch gleichwohl nicht verhindern konnten. Mit zittern-
der Hand überlief) sie das Scheit den Flammen, «die es nur widerstrebend
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9
Giovanni Francesco Susini
(dok. 1610—1653)
Meleager
(3. Viertel 17.]h.)
Nach der Antike
Bronze; Hóhe: 41,5 cm
Inv. Nr. S 595
Erworben: vor 1658 vermutlich
durch Fürst Karl Eusebius