Venus und Adonis
D je Liebe der Venus zu Adonis, einer Unsterblichen zu einem Sterb-
lichen, zeigt, daß auch die Götter, den Menschen gleich, ihr Schicksal hat-
ten, an dem sie Leid trugen. Ovid (43 v. Chr.—18 n. Chr.) erzählt,! Myrrha,
die Tochter des Königs Kinyras auf Kypros, habe sich in ihren eigenen Vater
verliebt und mit ihm, ohne daß er von ihrer Identität wußte, da sie sich in
nächtlicher Finsternis zu ihm legte, einen Sohn gezeugt. Dennoch kam die
Tat ans Licht, und Kinyras verfolgte seine Tochter voller Zorn über die von
ihr verursachte Unzucht, bereit, sie mit dem Schwert zu töten. Fliehend und
zutiefst beschämt erbat Myrrha von den Göttern, sie zu verwandeln, damit
sie, nicht lebend und nicht tot, weder die Lebenden noch die Toten kränke.
Sie nahm die Gestalt eines Myrrhenbaumes an und entkam so der Rache des
Vaters. Das Kind in ihrem Leib aber drängte heftig auf Befreiung. Lucina, die
milde Göttin der Entbindung, trieb einen Riß in den Stamm des Baumes
und verhalf einem Knaben zum Leben — Adonis, der gleich schon «wie die
kleinen Liebesgötter» anzuschauen war. Zum jungen Mann herangereift, war
er von solch auffälliger Schönheit, daß Venus in Liebe zu ihm entbrannte, als
ihr versehentlich ein Pfeil des Amor, ihres Sohnes, die Brust verletzte, wäh-
rend sie ihn küßte. Sogleich machte sie sich, «geschürzt in der Weise Dianas»
und jagend mit Hunden und Bogen, auf den Weg zu Adonis, dem Jäger. Sie
warnte ihn, besorgt um sein physisches Heil, eindringlich vor wilden Tieren.
Doch voller Unverstand hörte Adonis ihre Worte.
Carel Fabritius schildert in seinem Gemälde genau jenen Moment, da
Venus, versehen mit den Waffen der Jagdgöttin, dem von ihr begehrten Jüng-
ling gegenübertritt, schwebend auf einer Wolke und buchstäblich strahlend
schön. Ein dramatisches Hell-Dunkel steigert die Erscheinung der Venus. Es
weist den Maler erkennbar als Schüler Rembrandts aus, dem das Gemälde
früher zugeschrieben war. Weder schön noch beglückt erscheint indessen
Adonis. Vielmehr kennzeichnet tumbe Furcht sein Gesicht, die ihn zugleich
in die Knie zwingt. Treibnetze hatte er aufgespannt, um mit Hunden, Spieß
und Horn das Wild darin zu fangen. Doch angesichts der liebeslüstern ja-
genden Göttin ist nun er selbst der Gefangene — so zumindest darf man das
Bild des Niederländers deuten, das Ovids Text recht eigenwillig interpretiert,
denn dort legte sich Adonis, da er die Warnung nicht verstand, mit Venus ins
Gras, um sich von ihr, zahlreiche Küsse dabei empfangend, den Grund der
Gefahr erläutern zu lassen. Dem hilflos Kauernden in Fabritius’ Gemälde
aber scheint die Fähigkeit, göttlicher Gunst mit unbekümmerter Hingabe zu
begegnen, nicht geschenkt. Auch Tapferkeit nicht, die ihn, gemäß Ovid, Ve-
aus’ Erzählung über Hippomenes und Atalante in den Wind schlagen ließ,
um sogleich, kaum daß die Göttin im Schwanengespann den Ort verlassen
natte, einen von den Hunden aufgespürten Eber zu jagen. Dieser aber wurde
Adonis zum Verhängnis, denn während sein Spieß nur verwundete, streck-
ten die kraftvollen Hauer des rasenden Tieres ihn todbringend nieder. Doch
weder die heroische noch die tragische Seite der Geschichte interessiert Fa-
oritius.Aus humoristischer Perspektive betrachtet er die ungewöhnliche Be-
gegnung zwischen einer Göttin, die Opfer ihres Sohnes, und einem Manne,
der Opfer dieser Göttin ist. Venus ist machtlos gegen die Pfeile Amors, und
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Carel Fabritius (1622-1654)
Venus und Adonis
(ca. 1640-1650)
"‚einwand; 139,7x 107,7 cm
inv. Nr. G 83
Erworben: 1825 durch Fürst
Johannes I.