nimmt. Zu den erzählfreudigsten Darstellungen dieses Sujets gehört ein von
Jan Brueghel d, Ä. (1568-1625) in den Jahren 1617/18 für das Brüsseler Erz-
herzogspaar Albrecht und Isabella geschaffener fünfteiliger Zyklus, an dem
auch Peter Paul Rubens künstlerischen Anteil hatte.* Im ersten Gemälde
dieses Zyklus, das den Gesichtssinn veranschaulicht, sitzt eine nahezu unbe-
kleidete und nachdenklich wirkende Frau im Vordergrund einer großen Bil.
dermalerie, die nicht nur zahlreiche Gemälde und Skulpturen, sondern auch
astronomische und optische Geräte umfaßt. Ein nackter, geflügelter Knabe
hält dieser Frau ein Bild vor Augen, das die Heilung eines Blinden durch Je-
sus Christus zeigt. Frau und Knabe werden in der kunsthistorischen Litera-
tur auch als Venus und Amor gedeutet. Ein Spiegel wiederum findet in der
aus nur zwei Gemälden bestehenden Darstellung der fünf Sinne Verwen-
dung, die Jan Brueghel und Peter Paul Rubens zusammen mit mehreren an-
deren Künstlern als Gastgeschenk für das im Jahre 1618 in Antwerpen wei-
lende Erzherzogspaar schufen. In diesen Pendants, welche einerseits den
Gesichts- und Geruchssinn, andererseits das Gehör, den Geschmack und den
Tastsinn zusammenfassen, erscheinen die weiblichen Repräsentanten des er-
sten Gemäldes ebenfalls in einer aufwendig mit Bildern, Skulpturen, astro-
nomischen Geräten, Schmuck, Blumen und anderen Gegenständen aus-
vestatteten Kunstkammer oder Bildergalerie, Eine junge, bekleidete Frau, die
den Gesichtssinn verkörpert, betrachtet aufmerksam, doch mit melancho-
lischem Gestus, ihr schönes Antlitz in einem schwarz gerahmten Spiegel, den
ihr auch hier ein nackter, mit Flügeln ausgestatteter Knabe entgegenhält.
An höchster Stelle ziert, als Bild im Bilde, das Urteil des Paris die Galerie. Der
exponierte Ort dieses Themas überrascht nicht, denn der trojanische
Königssohn füllte seine Entscheidung im Sinne der von Amor begleiteten
Liebesgöttin Venus, welche dem Paris die schönste Frau der Welt versprach.
um selbst als Schönste aus dem Wettbewerb mit Juno und Minerva hervor-
zugehen.“
Das Zusammenspiel von Venus und Amor mit einem Spiegel mag sei-
nen Ursprung in der venezianischen Malerei des 16. Jahrhunderts haben,
etwa bei Tizian (21485/901576) und Veronese (1528-1588), die starken
Einfluß auch auf niederländische und flämische Künstler hatten. So zeigt uns
der Haarlemer Kupferstecher Jacob Matham (1571-1631) eine liegende Ve-
nus nach dem Bade.* Auch sie schaut in einen von Amor gehaltenen Spie-
vel, wobei sie zugleich von einem neugierigen Satyr beobachtet wird. Den
vielleicht wichtigsten Schlüssel zum Verständnis der Venus vor dem Spiegel lie-
fert ein Kupferstich nach Hendrick Goltzius, welcher den Künstler und sein
Modell zeigt.“ Dieser sitzt in offener Landschaft, von der wir ausschnitthaft
eine Meeresbucht mit Segelschiffen sehen, malend vor einer Staffelei, um-
geben von einem Arzt, der in ein Uringlas schaut, sowie von einem Astro-
nomen, der mit einem Zirkel den Abstand zweier Gestirne auf einer Him-
melskugel absteckt. Der Maler sitzt also zwischen den Repräsentanten von
Mikro- und Makrokosmos, die, wie er selbst, die Natur beobachten. Sein
Modell aber, das er aufmerksam durch eine Brille betrachtet und auf ein Ge-
mälde überträgt, ist die Göttin Venus, welche vor ihm im Grase kniet, um
den Blick mit Hilte eines Spiegels, den Amor ihr vorhält, über ihren entblöß-
ten Oberkörper gleiten zu lassen. Venus empfindet offensichtlich Freude an