. Venus vor dem Spiegel
Deter Paul Rubens (1577-1640)
Venus vor dem Spiegel
'ca. 1613-1614)
Aolz; 124 x 98 cm
ınvy. Nr. G 120
Zrworben: vermutlich vor 1712
durch Fürst Johann Adam Andreas 1.
Wo Venus ihre Augen auf einen Spiegel richtet, da feiert die An-
schauung sinnlicher Schönheit ihren höchsten Triumph. Peter Paul Rubens
zeigt uns die Göttin der Liebe, welche nackt dem Bade entstieg und nun, auf
rotem Tuche sitzend, um ihre Toilette bemüht ist, in großzügiger Rücken-
ınsicht, begleitet zur Rechten von einer dunkelhäutigen Dienerin, die sich
der goldenen Haarpracht der Göttin widmet, zur Linken von Amor, dem ge-
Aügelten und ewig jugendlichen Gott der Liebe, der ihr einen schwarz ge-
rahmten, mit Amorettenköpfchen verzierten Spiegel entgegenhält. In freier
Natur, nahe dem Ursprünglichen und Kreatürlichen, wünschte Rubens sich
das Geschehen, nicht in zivilisatorischem Ambiente. Vegetation aber vermag
sich im Bild nicht zu entfalten, so üppig ist die Figurenfülle, die ganz die Auf-
merksamkeit des Betrachters beansprucht. Nur wenige Accessoires wirken
der Nacktheit unsterblichen Fleisches entgegen, allein damit sie letztlich um
30 reizvoller in Erscheinung tritt — ein weißes Tuch, ein edelsteinbesetzter
Oberarmreif, ein Perlenohrring. Die Dienerin, deren dunkles Inkarnat sich
<ontrastreich gegen die helle Haut der Venus absetzt, trägt eine weiße Kopf
bedeckung und eine rote Korallenkette. Während sie besonnene, fast zärtli-
che Fürsorge für ihre Herrin erkennen läßt, scheint Amor, der weder Kö-
cher noch Bogen trägt, vom Schalk durchtrieben. Es mag ihm gefallen, der
Göttin den Spiegel vorzuhalten, den stummen Diener der Eitelkeit. Doch
schon das Profil der Venus verrät keinerlei Neigung zu selbstgefälligem
Schauen, und im Spiegel, der ihr Gesicht wie ein Portrait erfaßt, erblickt sie
aicht sich, sondern den Betrachter des Bildes, den sie, dank Amors Hilfe, un-
willkürlich verzaubert mit ihrem wachen, schönen und sinnlich verführe-
:ischen Antlitz. Verführerisch ist freilich die Malerei selbst, die sich in leben-
digen Formen äußert, bald skizzenhaft summarisch und transparent, bald
vollendet detailliert und dicht, immer der Farbe größtmögliche Freiheit ge-
während, dennoch stets in Reichweite des Gegenstandes, dem sie verpflich-
;et bleibt. Worum aber geht es hier eigentlich?
Den Blick junger Frauen und Göttinnen in den Spiegel hielten schon
Künstler der Antike fest, und selbstverständlich zielte das Interesse des Auges
Jabei nicht zuletzt, und durchaus auch eitel, auf die Überprüfung der eige-
2en Schönheit, auf das Wohlgefallen am eigenen Körper. Die bildende Kunst
gennt dieses Motiv jedoch auch in Verbindung mit anderen, gleichfalls in der
Antike wurzelnden Inhalten, etwa der Prudentia (Klugheit) und dem Ge-
sichtssinn, dem Sehen. Die weibliche Personifikation der Klugheit trägt stets
einen Spiegel als Zeichen der Selbsterkenntnis bei sich. Hendrick Goltzius
1558-1617) beispielsweise stellt Prudentia im Reigen der Sieben Tugenden als
sitzenden Rückenakt dar, mit zweitem Gesicht und Schlangen sowie einem
Spiegel als Attributen.! Bei Raffael (14831520) assistiert ein nackter, geflü-
zelter Genius der Prudentia, indem er den Spiegel, welchen sie selbst sich zu
ihrer Betrachtung entgegenhält, rückseitig mit beiden Händen unterstützt.”
Als Personifikation des Gesichtssinnes begegnet uns die Frau mit Spie-
gel zumeist in Gemeinschaft mit den übrigen Sinnesallegorien — dem Ge-
hör, dem Geruch, dem Geschmack und dem Gefühl (Tastsinn),* wobei das
Gesicht, also das Sehen, die höchste Stufe in der Hierarchie der Sinne ein-