1930
Bezüglich der Parteien in Liechtenstein lässt sich sagen, dass es Spätgeburten
waren, z. T. könnte man von Zangengeburten sprechen. Die fehlende Einsicht in
die Notwendigkeit von Parteien im Kleinstaat, die Furcht vor einer Zersplitterung
der Kräfte, die Abwehr gegen Ideen von aussen erklären diese Verspätung.
Trotz der fehlenden weltanschaulichen Unterschiede waren die Auseinander-
setzungen um die richtigen Entscheidungen nicht weniger heftig. Die Lösungs-
wege für die bevorstehenden Aufgaben waren hart umstritten, die Durchsetzung
der vorgebrachten Forderungen war leidenschaftlich.
Im ganzen gesehen, waren im behandelten Zeitraum die «Konservativen» in
Liechtenstein bestimmende politische Kraft. Die Tatsache, dass zwei konser-
vative Parteien in heftiger Fehde miteinander lagen, ist durch die verschiedenen
Wege zum gleichen Ziel begründet. Die Haltung differierte graduell bei der Suche
nach Lösungen von Einzelproblemen; prinzipielle Unterschiede im ideologischen
Bereich bestanden nicht.”
Die Volkspartei war stärker auf beschleunigtes Verändern bedacht. Ihre Vorstel-
lungen von den Schwerpunkten der Veränderung bezogen sich auf den Ausbau der
Volksrechte, auf die soziale Besserstellung des «kleinen Mannes», auf die stärkere
Beteiligung der Liechtensteiner an Verwaltung und Regierung sowie im aussenpoliti-
schen Bereich auf die Loslösung von Österreich. Die Fortschrittliche Bürgerpartei
stand grundsätzlich für dieselben Veränderungen ein, verhielt sich aber im ur
sprünglichen Sinne des Wortes konservativer. Sie wollte diese Veränderungen in
engerem Schulterschluss mit den bestehenden Machtträgern im Staat vornehmen.
Aus zeitlich distanzierter Sicht kann die Entwicklung der Jahre von 1890 bis
1918 als wesentlicher Teil der Erneuerungsbewegung gesehen werden, die von
dem sich 1848 anbahnenden Ansatz über die Station der Verfassung von 1862
zum Ergebnis von 1921 führte.
39 Siehe dazu Wille, Regierung und Parteien; ebenfalls Michalsky.
Vi ohnbe-
E völkerung
X
7! steins: 9948
„Die Stimm-
bürger lehnen die von der
Bürgerpartei bekämpfte Ver-
fassungsinitiative über die Ein
führung einer Proporzwahl-
initiative sowie eine damit
zusammenhängende Gesetzes-
initiative ab (2.3.).
Die vier Volkspartei-Abgeordne:
ten treten, da sie die Legislatur-
periode als beendet betrachten
aus dem Landtag aus.
Wahlen für die vier freien
Landtagssitze. Die Volkspartei
beteiligt sich nicht (16.3.).
!m Landtag fehlt bis 1932
jede Opposition.
Fürst Franz I. betraut seinen
Grossneffen Prinz Franz Josef II
fallweise mit der Ausübung
der Regierung (17.4.).
Der Landtag beschliesst
ein Pressegesetz, das im Ausland
Empörung hervorruft (9.7.);
Zitate: «mittelalterliche Ver-
wirrung», «ganz gefährliches
Maulkrattengesetz», «Zurück
zum Polizeistaat», «aus einer
Rumpelkammer des Vormärz
oder aus dem Gehirn eines
Bolschewisten», «Geist der
Unfreiheit», «Attentat auf die
Pressefreiheit» (9.7.).