Liechtenstein — Ein Kleinstaat im Herzen Europas
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Abkommen beinhaltet somit sämtliche EWR-Regelungen, welche bis dahin im
EWRA aufgenommen waren. Seit jenem Zeitpunkt sind jedoch über 250 neue Rege-
lungen hinzugekommen, welche Liechtenstein im Falle einer Ratifizierung ‘des
EWRA zu 100% übernehmen müsste. Bei der Ausarbeitung neuer EWR-Regelungen
kann Liechtenstein künftig stimmberechtigt mitwirken und entsprechend Einfluss
nehmen.
Sämtliche _EG-Staaten ausser Spanien haben am 8.3.1993 dem Zusatzprotokoll zum
EWR zugestimmt. Die spanischen Vertreter machen ihre Zustimmung davon abhän-
gig, dass zuerst alle EG-Staaten (auch England und Dänemark) die ”Maastrichter
Verträge” genehmigen. Falls nun das dänische Volk am 18.5.1993 die Verträge erneut
ablehnt, wird Spanien wie angekündigt die Zustimmung zum EWR-Zusatzprotokoll
verweigern, wodurch das Inkrafttreten des EWR erneut auf unbestimmte Zeit hinaus
verzögert würde. ;
Die bisherigen, im Rahmen der Zollvertragsverhandlungen geführten Expertenge-
spräche haben ergeben, dass die ”Tarife” des für die Schweiz geltenden Freihandels-
abkommens 1972 sowie diejenigen des EWR-Abkommens mehrheitlich identisch
sind, somit also kaum ein Anpassungsbedarf besteht. Der grösste Handlungsbedarf
besteht jedoch bei den ”Ursprungsregelungen”, welche in etlichen Bereichen äusserst
unterschiedlich formuliert und somit auf einen gemeinsamen Nenner gebracht
werden müssen.
Im weiteren haben die ersten Gespräche ergeben, dass eine Nachverzollung gewisser
Waren beim Grenzübertritt in die Schweiz in Zukunft nicht verhindert werden kann.
Dieses Problem könnte nur dann umgangen werden, wenn man erreicht, dass die In-
kraftsetzung der entsprechenden Bestimmungen hinausgeschoben wird und zwar bis
zum Zeitpunkt, wo die Schweiz die EWR-Regelungen "autonom” übernimmt. Eine
weitere Variante bestünde darin, dass Liechtenstein erst dann dem EWR beitritt,
wenn die Schweiz seine Gesetzgebung weitgehendst dem EWR-Recht angepasst hat.
Für den Fall, dass Liechtenstein in absehbarer Zeit nicht dem EWR beitreten kann,
sind nach Angaben von Botschafter Dr. Benno Beck keinerlei Massnahmen vorgese-
hen oder geplant, welche die dann entstehenden Probleme des Warenverkehrs besei-
tigen oder zumindest mildern.
Nach Angaben des Vertreters der Industrie- und Handelskammer, Willi Frommelt,
wäre bei einem ”Fernbleiben”_vom EWR mittelfristig durchaus damit zu rechnen,
dass verschiedene Betriebe aus Liechtenstein abwandern müssten, womit entspre-
chend Personal freigestellt würde.
Ein unkontrollierter Warenzugang von der Schweiz über Liechtenstein in den EWR-
Raum ist nicht möglich, da spätestens an der österreichischen Grenze eine entspre-
chende Kontrolle stattfinden würde.
Bezüglich der Einführung von Ware aus dem EWR und Weiterleitung in die Schweiz
wären Kontrollmechanismen einzuführen, welche verhindern, dass Ware, deren Ver-
trieb in der Schweiz nicht zugelassen ist, in den Handel kommt. Konkrete Lösungs-
vorstellungen dazu konnten jedoch keine benannt werden.
In der Schweiz produzierte Waren, welche von liechtensteinischen Betrieben zur
Montage oder Weiterverarbeitung benötigt werden, müssten vermutlich als_soge-
nannte "Drittlandware” höher verzollt werden, und zwar solange, bis die Schweiz
seine Gesetzgebung dem entsprechenden EWR-Recht angepasst hat.
Ein liechtensteinischer Betrieb, welcher mit Arbeitern aus anderen EWR-Ländern in
der Schweiz auf Montage gehen will, muss für diese zuerst eine Arbeitsbewilligung
einholen. Zur Verhinderung eines derartigen Vorgehens, könnte man sich vorstellen,
auf der Basis der Gegenseitigkeit eine entsprechende Lösung anzustreben.