Liechtenstein — Ein Kleinstaat im Herzen Europas Seite 35
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derzeit auch noch für Liechtenstein) geltende Freihandelsabkommen von 1972 aus. Ge-
prüft werden sollen dabei insbesondere die Übernahme der im EWR enthaltenen Verein-
fachungen der Ursprungsregelung fiir den Warenaustausch sowie die Angleichung der
Normen und technischen Zertifikate. Man kann sich nun fragen, warum werden der
Schweiz nun doch noch derartige "Geschenke" angeboten. Die Antwort darauf ist ziem-
lich einfach: die Schweiz ist derzeit immerhin noch der zweitgrósste Handelspartner der
EG. Die EG selbst hat also mit Sicherheit ein nicht zu unterschátzendes Interesse daran,
mit der Schweiz eine Vereinfachung des Warenhandels herbeizuführen. Dass von Brüs-
sel aus generell eher ein "kühler" Ton angeschlagen wird, verwundert weiter nicht,
wenn man weiss, dass Situationen wie mit der Schweiz vielleicht in Zukunft noch
"Schule machen" kónnte. Aber eines kann man heute schon sagen, die EG hat sich in
der Vergangenheit schlussendlich meistens flexibler gezeigt, als sie dies anfánglich zu
erkennen gegeben hatte. Auch die EG muss sich gewissen "Marktgegebenheiten" unter-
ordnen, wenn sie das immer noch vorherrschende Demokratiedefizit in Zukunft in den
Griff bekommen móchte.
S.D. Fürst Hans Adam II von Liechtenstein: Klares Ja zum EWR
Anfang Márz 1993 gab der Landesfürst einer Vorarlberger Zeitung ein Interview zum
Thema "Liechtenstein und der EWR". Eine EG-Mitgliedschaft sei derzeit innenpolitisch
nicht vertretbar, da insbesondere in Bezug auf den Personenverkehr damit gerechnet
werden müsste, dass Liechtenstein von Steuerflüchtlingen nur so überschwemmt würde.
Im Rahmen der EWR-Regelungen kónne Liechtenstein dies jedoch selbständig regeln.
Damit sprach der Landesfürst insbesondere die ausgehandelten Übergangsfristen sowie
Schutzklausel an. Hiezu ist jedoch zu bemerken, dass Luxemburg auch Môglichkeiten
hätte, entsprechende Massnahmen gegen den Zuzug von Ausländern zu ergreifen, dies
jedoch, aus welchen Gründen auch immer, bis heute unterlassen hat. Mittlerweile sind
ca. 1207000 Personen anderer Nationalitàt in Luxemburg sesshaft geworden, was einem
Ausländeranteil von ca. 30% entspricht. Im Fürstentum Liechtenstein liegt der Anteil
der ausländischen Bevölkerung jedoch heute schon um ca. 20% höher. Wenn man nun
noch vergleicht, dass die Besteuerung der natürlichen Personen in Luxemburg mit ca.
50% mehr als doppelt so hoch ist wie in Liechtenstein, dann darf man sich. wohl mit
Recht fragen, ob Liechtenstein bei einer "Offnung der Grenzen" ein weiteres Ansteigen
des Auslánderanteils verhindern könnte. Wohl kaum, bzw. mit Sicherheit nicht im ge-
wünschten Rahmen. Die Gefahr, letztendlich doch bloss mehr ein "Stadt-Staat" wie Mo-
naco zu werden ist unter dem Druck der EWR-Regelungen mit Sicherheit grósser.
Auf die Kosten des EWR angesprochen, benannte der Landesfürst einen Betrag von 5 - 6
Millionen Franken. Vor der EWR-Abstimmung gab die liechtensteinische Landesregie-
rung die jährlichen "EWR-Kosten" (exkl. Personalkosten) mit ca. sFr. 900'000.- an.
Ausgehend von sFr. 6 Mio. Gesamtkosten würden somit für die Abgeltung der ebenfalls
von der Regierung eingeplanten 10 EWR-Stellen noch ca. sFr. 5 Mio. zur Verfügung ste-
hen, was einem stattlichen, aber sicherlich nicht staatlichen Durchschnittssalär von über
sFr. 41’000.- entsprechen würde. -
Angesprochen auf das Verhältnis zu der Schweiz äusserte der Landesfürst die Uberzeu-
gung, dass sich schon noch eine Lösung finden lasse, welche es Liechtenstein erlaube,
bei gleichzeitiger EWR-Mitgliedschaft den Zollvertrag mit der Schweiz aufrecht zu er-
halten. Das kleine Liechtenstein, welches mit seinen ca. 30'000 Einwohnern 12x kleiner
ist als Luxemburg und von den über 2,2 Milliarden Franken Industrie-Exporten ca. 1576
in die Schweiz und ca. 4596 in die EG-Staaten liefert, soll also in Zukunft innerhalb Eu-
ropas eine Sonderstellung zugestanden erhalten, welche bisher keinem anderen Staat in