Liechtenstein — Ein Kleinstaat im Herzen Europas
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Es ist zu hoffen, dass die Verantwortlichen derartigen ”Unsicherheitsfaktoren” in Zu-
kunft von mehr Aufmerksamkeit schenken, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
Noch ist Zeit, entsprechend zu handeln,
32. Profitiert der Finanzplatz Schweiz vom EWR-Nein ?
Der Börsenbrief ”Bond-News” beurteilt die mittel- und langfristigen Aussichten an den
Finanzmärkten als aussergewöhnlich gut. Nun zeichnete es sich immer mehr ab: der Fi-
nanzplatz Schweiz profitiert tatsächlich vom schweizerischen EWR-Nein. Die positiven
Folgen dieser Entscheidung zeigen ihre Früchte. Im weiteren werden in naher Zukunft
folgende "europäischen Veränderungen” einer weiteren. Stärkung des Finanzplatzes
Schweiz verhelfen:
— Am 1.4.1993 wird das revidierte Stempelabgabegesetz in Kraft treten, auch im Für-
stentum Liechtenstein, Experten erwarten, dass dem Finanzplatz Schweiz damit Mil-
liardenbeträge zufliessen werden. In der Schweiz Anlagen zu tätigen wird damit ge-
genüber dem Ausland wieder wesentlich billiger. Nach Angaben von Experten sind
dann Transaktionen an anderen Börsenplätzen in der Welt rund 100 bis 150 Prozent
jeurer. Also ein erneuter Aufschwung im Rahmen der wohl wichtigsten Wirtschafts-
grundlage der Schweiz (und Liechtensteins).
Die deutsche Regierung beabsichtigt, ausländische Kapitalzinserträge demnächst mit
siner "Spezialsteuer” zu erfassen. Man geht davon aus, dass dies insbesondere für
den Bankenplatz Luxemburg erheblichen Kapitalabfluss zur Folge haben wird. Es
darf damit gerechnet werden, dass diese Gelder zu einem grossen Teil dem Finanz-
platz Schweiz zufliessen werden. Inwieweit auch Liechtenstein von dieser Entwick-
lung profitieren kann, hängt mit Sicherheit zu einem grossen Teil davon ab, ob man
sich für mehr "Selbständigkeit" (sprich Teilnahme am EWR) entscheidet oder wei-
terhin für eine gedeihliche ”Partnerschaft” mit der Schweiz
33. Durchsetzung von Souveränitätsansprüchen auf Kosten regionaler, wirt-
schaftlicher Beziehungen ?
{n den letzten Tagen erhielt die St. Galler Regierung vom Bundesrat bezüglich einer
Teilnahme an den Zollvertragsverhandlungen mit Liechtenstein eine Absage. In St. Gal-
len denkt man nicht daran, sich mit dieser abschlägigen Antwort zufrieden zu geben.
Man wird alles daran setzen, den freien Warenverkehr mit Liechtenstein aufrechterhal-
jen zu können, da durch eine Änderung des heutigen Grenzverkehrs zuviele Arbeitsplät-
ze auf dem Spiel stehen würden. EG oder EWR hin oder her, eine grenzüberschreitende
Zusammenarbeit ist nicht nur zwischen dem Kanton St. Gallen und dem Fürstentum
Liechtenstein weiterhin unabdingbar. Nachdem das liechtensteinische Stimmvolk sich
jedoch am 13.12.92 ganz klar für den EWR entschieden hat und die laufenden Zollver-
tragsverhandlungen immer mehr verdeutlichen, dass die heutigen wirtschaftlichen Be-
ziehungen zu der Schweiz in Zukunft wohl nicht mehr im bisherigen Umfang aufrecht
erhalten werden können, darf man gespannt sein, welche Konsequenzen Fürst und
Regierung in naher Zukunft daraus ziehen werden. Eines ist jedoch heute schon klar,
die gegensätzliche liechtensteinische EWR-Entscheidung hat die von gewissen Personen
gewünschte Abspaltung von der Schweiz wohl endgültig eingeleitet. Man darf gespannt
sein, inwieweit die Schweiz diese "Trennung auf Raten” hinnehmen wird. Noch profi-
Hert die Schweiz von der Tatsache, dass Liechtenstein versucht, die Türe nach Brüssel
für die Schweiz offen zu halten. Wenn sich die Schweiz jedoch in naher Zukunft ihren