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Liechtenstein — Ein Kleinstaat im Herzen Europas
Für_den Juristen, insbesondere für einen Völkerrechtier erscheine die ganze Zollver-
trags-Problematik natürlich etwas _komplizierter als für den Pragmatiker (=Pragmatis-
mus: Als Wahrheit gilt nur das, was sich vereinigen lässt und sich in die jeweiligen Be-
lange des Lebens fügt.) Im weiteren erklärte der Landesfürst, dass die Ratifizierung des
EWR-Abkommens durch Liechtenstein eventuell sogar bereits im Sommer _ 1993
zusammen mit den anderen EFTA-Staaten erfolgen könne. Es sei durchaus realistisch
davon auszugehen, dass die Zollvertrags-Anpassungen materiell bis ca. März 1993 gelöst
seien. Da das Hauptproblem in der Zollvertragsmaterie jedoch der Warenverkehr sei,
könne es dennoch zu etwelchen Verzögerungen kommen, welche dann die gleichzeitige
Ratifizierung des EWRA zusammen mit den anderen EFTA-Staaten verunmögliche. Da-
zu gebe es jedoch Lösungsansätze, welche davon ausgehen, dass Exporte aus Liechten-
stein ein ”liechtensteinisches Ursprungszeugnis” bekommen, wobei Liechtenstein für die
Richtigkeit dieser Zeugnisse garantieren und auch entsprechend die Haftung überneh-
men müsste, Was den überjährigen ”Rucksack” (=Abhängigkeit zu der Schweiz) an-
belange, so glaubt der Landesfürst weiter, dass Liechtenstein diesem nun doch wohl
schon bald endgültig entstiegen sei
31.
Gibt es durch einen EWR-Beitritt Liechtensteins wirklich keine Ver-
schlechterung der Standortvorteile ?
Was im Vorfeld der liechtensteinischen EWR-Abstimmung kein Vertreter der Banken
auszusprechen wagte, verlautbarte nun Anfang Februar 1993 Dr. Emil Heinz Batliner,
Präsident des Verwaltungsrates der VP-Bank. Dr. Batliner ist angeblich davon über-
zeugt, dass der EWR keine Steueramtshilfe bringe, die liechtensteinischen Rahmenbe-
dingungen für die Banken erhalten werden könnten und auch das Holdingprivileg in Zu-
kunft nicht angetastet werde. Das EWRA enthalte ferner keine Vorschriften über Steu-
ern, weshalb alle Steuervorteile Liechtensteins auch in Zukunft vollumfänglich erhalten
blieben, Soweit der Verwaltungsrats-Präsident der VP-Bank. Obwohl verschiedene
Punkte dafür sprechen, dass Liechtenstein gerade durch die gewährten Steuerprivilegien
in einem EWR immer die längeren Spiesse hätte, als jeder andere europäische Staat,
geht man nun einfach davon aus, dass alle anderen EWR-Partner diesen Vorsprung auch
in Zukunft einfach so hinnehmen werden. Der EWR-Vertrag enthält jedoch im Rahmen
des Wettbewerbs-Rechts Regelungen, weiche es einem jeden der 16 anderen EWR-Staa-
ien erlauben, kurzfristig eine Überprüfung der typisch ”liechtensteinischen Situation” zu
verlangen. Die Einleitung eines derartigen ”Kontroll-Verfahrens” könnte im übrigen von
jedem Bürger eines EWR-Staates beantragt werden. Die Chance für Liechtenstein, dass
ein solches Verfahren nicht eingeleitet wird beläuft sich auf 1:360’000’000. Sicherlich,
sine derartige Überprüfung hätte in den vergangenen Jahren bereits schon aufgrund des
Freihandelsabkommens Schweiz-EG gegen Liechtenstein angestrebt werden können, Die
Tatsache, dass der Konkurrenzkampf innerhalb des EWR-Raumes um ein: vielfaches
grösser sein wird, als dies im Rahmen des bisherigen Freihandelsabkommens der Fall
war, sollte einem jedoch klar machen, dass künftig jede _”Privilegierung” der exportori-
antierten Betriebe Liechtensteins zu einem Stolperstein werden könnte. Nur eine teilwei-
se oder gar vollständige Beseitigung dieser Regelungen könnte dann unliebsame Gegen-
massnahmen der übrigen EWR-Partner verhindern. Sicherlich, man kann auch einfach
alles durch eine "rosa Brille” betrachten und hoffen, dass derartige Situationen nie ein-
treten werden. Ob dies jedoch für eine nachhaltige Absicherung der künftigen liechten-
steinischen Wirtschafts-Entwicklung ausreicht, darf wohl mit Recht bezweifelt werden.