Liechtenstein — Ein Kleinstaat im Herzen Europas
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Überraschende Zustimmung Liechtensteins zum EWR-Abkommen
In seiner ôffentlichen Sitzung vom 21./22. Oktober 1992 hat der Landtag bekanntlich
dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zugestimmt und die
Regierung mit der Anordnung einer Volksabstimmung beauftragt, welche zur Uberra-
schung aller wie folgt ausgegangen ist:
Anzahl Stimmberechtigte: 137982
Stimmbeteiligung: 127164 87,00 76
JA-Stimmen: 6°722 55,81%
NEIN-Stimmen: 57322 44,19 %
Alle 11 Gemeinden haben der Vorlage zugestimmt. Dieses unerwartete Ergebnis ist vor
allem auf die Aussage des Landesfürsten, dass es bei dieser Abstimmung nur um ein
neuerliches ”Verhandlungsmandat” gehe, zurückzuführen. Nachdem nun das Ja Liech-
tensteins zm EWRA Wirklichkeit geworden ist, darf man gespannt sein, mit welchen
Argumenten die liechtensteinische Verhandlungs-Delegation nun der Schweiz, den 5
EFTA-Staaten sowie den 12 EG-Staaten die Tatsache klar macht, dass Liechtenstein dem
"Europäischen Wirtschaftsraum” beitreten, aber parallel dazu den schweizerischen
Wirtschaftsraum im bisherigen Umfang beibehalten móchte. Art. 121 lit. b des EWR-Ab-
kommens akzeptiert zwar die Zusammenarbeit:
"im Rahmen der regionalen Union zwischen der Schweiz und Liechtenstein, soweit die Ziele
dieser Union nicht durch die Anwendung dieses Abkommens erreicht werden und das gute
Funktionieren dieses Abkommens nicht beeinträchtigt wird.”
Diese Anerkennung der Zollunion Schweiz —Liechtenstein gilt jedoch nur für den Fall,
dass beide Parteien dem EWR angehóren (Art. 126). Da die Schweiz nun jedoch nicht
EWR-Vertragspartei geworden ist, kann man rein theoretisch gesehen davon ausgehen,
dass der bis anhin ziemlich einfach angewendete Zollvertrag mit seinen über 500 Rege-
lungen zu einem grossen Teil wohl nicht mehr erhalten werden kann. Es bleibt somit
bloss noch die Frage, welche Regelungen künftig nicht mehr in Kraft bleiben kónnen.
Im Hinblick auf die über 1600 Gewerbebetriebe sowie den Finanzdienstleistungssektor
ist zu hoffen, dass im Rahmen der nun anstehenden Verhandlungen gerettet werden
kann, was noch zu retten ist !
Neuverhandlung des EWR-Abkommens von der EG abgelehnt !
Am 16.12.1992, also 10 Tage nach dem NEIN der Schweiz, sowie 3 Tage nach dem JA
Liechtensteins gab die EG bekannt, dass eine Neuverhandlung des EWR-Abkommens
auf keinen Fall akzeptiert wird. Der EWR-Vertrag müsse in seiner jetzigen Form erhal-
ten bleiben. Dem Nichtbeitritt der Schweiz werde dadurch Rechnung getragen, dass alle
spezifisch für die Schweiz geltenden Regelungen lediglich über ein Zusatzprotokoll für
nicht anwendbar erklàárt werden. Damit werde erreicht, dass das bereits mehrheitlich ra-
tifizierte EWRA nicht erneut in den einzelnen Làndern zur Abstimmung vorgelegt
werden müsse. Die von offizieller Seite, insbesondere vom Landesfürsten sowie dem
Regierungschef-Kandidaten Markus Büchel mehrfach in Aussicht gestellten Neuver-
handlungen der bestehenden Regelungen im Bereich des "Freien Personenverkehrs" sind
somit auch für Liechtenstein nicht mehr durchsetzbar. Da das liechtensteinische Stimm-
volk am 11./13. Dezember 1992 u.a. ganz klar auf derartige Neuverhandlungen vertróstet
wurde, darf man nun gespannt sein, welche Ersatzlósungen dafür angeboten werden.