EvELIN OBERHAMMER
Das Hausarchiv der Regierenden Fürsten von
Liechtenstein. Archivalien zur Landesgeschichte
Es wire verfehlt, im liechtensteinischen Hausarchiv einen Quellenkomplex
zu erwarten, der vorrangig aus den Aufgaben der Fürsten als Staatsoberhaupt
erwachsen ist. Die Ausübung der Regierungsgescháfte stand für die Liechten-
stein bis ins 20. Jahrhundert nicht im Vordergrund. Sie waren vielmehr in
erster Linie Herren ausgedehnter Herrschaften in Niederósterreich, in Máhren
und Bóhmen, die unter landesfürstlicher Oberhoheit standen; und ab dem
Anfang des 17. Jahrhunderts geboten sie über ein schlesisches, von der bóh-
mischen Krone zu Lehen gehendes Herzogtum. 1719 wurden die Fürsten
Regenten des kleinen unmittelbaren Territoriums Liechtenstein im Südwesten
des Reiches, das für das Haus damals zwar in stándisch-rechtlicher, nicht aber
in politischer oder auch in wirtschaftlicher Hinsicht von grosser Bedeutung
war. Damit war die Funktion der Fürsten vorwiegend auf die von hoch-
adeligen Grossgrundbesitzern im Bereich der habsburgischen Lánderkomplexe
bzw. der Donaumonarchie beschránkt. Das liechtensteinische Hausarchiv ent-
spricht daher auch nicht dem Typus eines Staatsarchivs, sondern vornehmlich
dem eines Privatarchivs und enthilt in erster Linie das Quellengut der einsti-
gen Besitzungen des Hauses und familiengeschichtliche Dokumente.
Bezüglich des Standorts der liechtensteinischen Archivalien haben sich seit
dem Zweiten Weltkrieg Veránderungen ergeben, die mehr oder weniger pro-
blematische Konsequenzen für die Benützbarkeit der Unterlagen zur Folge
hatten. Zum einen wurde das zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien einge-
richtete Zentralarchiv im Zusammenhang mit den Evakuierungsmassnahmen
bzw. der Übersiedlung der Fürsten nach Liechtenstein geteilt. Ein relativ
kleiner aber geschlossener Quellenbestand kam nach Vaduz. Ferner wurden
jene Archivalien, die sich nach Kriegsende bei den fürstlichen Verwaltungsbe-
hórden bzw. Wirtschaftsámtern in der neuerrichteten Tschechoslowakischen
Republik befanden, durch Enteignung dem Zugriff des fürstlichen Hauses
entzogen und von den zustündigen Landesarchiven übernommen. Und schliesslich
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