PETER GEIGER
«Liechtenstein in den Dreissigerjahren und im Zweiten
Weltkrieg.»
Zeitgeschichtliches Projekt, Stand und Perspektiven
Wo steht die wissenschaftliche Erforschung Liechtensteins für die Zeit der
Dreissigerjahre und des Zweiten Weltkrieges? In diesem Bereich besteht eine
der fühlbarsten Lücken der Zeitgeschichtsforschung des Landes. Fühlbar: Die
Zeit der Wirtschaftskrise brachte bitteren Verteilungskampf um Arbeit, Posten
und politische Macht; der einbrechende Nationalsozialismus lockte hier man-
che zu Neuorientierung Richtung Norden, er bedrohte Freiheit, Land und
Leben, spaltete die Gesellschaft. Es wuchsen von 1933 bis 1945 auch hierzu-
lande Verrat, Hass, Schuld, Widerstand, Vergeltungsrufe, wirksam über das
Ende des Alptraums hinaus. Die NS-Zeit war seit 1945 liechtensteinisches
Tabuthema. Unter dessen Schleier nur regte sich eifriges Vergangenheits-
geflüster. Man wagte sich nicht wirklich an die Erforschung jener Epoche
heran — welche in der Tat nur der liechtensteinischen Hexenzeit vergleichbar
ist. Man fürchtete ein Aufbrechen der Schwären, der persönlichen und politi-
schen Hassströme. Lieber liess man die Hakenkreuzspinne unter Verschluss,
im Gotthelfschen Fensterpfostenloch. Dennoch wollte man immer schon ge-
nauer wissen, wie es wirklich gewesen ist.
Einiges ist inzwischen getan, Grösseres angepackt. An bisherigen, kürzeren,
aber zuverlässigen Arbeiten seien Adulf Peter Goop (1973), Herbert Wille
(1981), Joseph Walk (1986), Horst Carl (1988, 1989) und Siegfried Krebs
(1988) genannt, dazu eine Reihe von Artikeln aus meiner Feder, welche seit
1990 erschienen sind (Geiger 1990, 1993, 1994, 1995, 1996). Claudia Heeb
hat die erste grössere sozialgeschichtliche Studie verfasst, über Frauenarbeit
in der Zwischenkriegszeit, (sie erscheint 1996). Unveröffentlicht ist eine
Seminararbeit von Klaus Biedermann (1991) zum «Liechtensteiner Heimat-
dienst». Über das 1938/39 sendende «Radio Liechtenstein» schrieb Norbert
Jansen (1973). Zur Episode der Internierung einer russischen Armeeabteilung
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