«Geschlecht» erhebt den Anspruch einer Grundkategorie der allgemeinen
historischen Forschung und befähigt damit die Forscherin, den Forscher auch
zur Analyse von historischen Prozessen, in denen Geschlecht als kulturell
vermittelte Grösse wirksam ist, Frauen jedoch physisch nicht präsent sind.
Zur wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung möchte ich auf den her-
ausragenden Artikel der Wiener Professorin Herta Nagl-Docekal verweisen:
Feministische Geschichtswissenschaft — ein unverzichtbares Projekt.*
Zurück zu den liechtensteinischen Verhältnissen: In der offiziellen Geschichts-
schreibung Liechtensteins taucht der Begriff «Frauengeschichte» erstmals im
Jahre 1990 auf und zwar im Lehrmittel «Brücken zur Vergangenheit», das von
Paul Vogt verfasst wurde. Es handelt sich um ein Text- und Arbeitsbuch zur
liechtensteinischen Geschichte vom 17. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Im zweiten Teil meines Referates möchte ich anhand einer Kritik dieses Schul-
buches Aspekte, Ergebnisse und Forderungen der historischen Frauenforschung
deutlich machen und bitte den Autor, dessen Arbeiten ich sehr schätze, mir
diese Unverschämtheit zu verzeihen.
Im Vorwort bekennt sich der Autor zu einem problemorientierten Geschichts-
unterricht und zeigt sich bemüht, neben der politischen Geschichte und der
Verfassungsgeschichte auch Fragestellungen der Sozial- und Wirtschaftsge-
schichte, der Kultur- und Alltagsgeschichte zu berücksichtigen. Der Erzähl-
text wird mittels Kurzbiographien aufgelockert, die, ich zitiere den Autor.
jedoch «(fast) ausschliesslich über das Leben bedeutender Männer berich-
ten». Und weiter heisst es: «Nur vereinzelt bot sich die Möglichkeit, Frauen
so darzustellen, dass sich Schülerinnen und Schüler in die Rolle einer Frau
hineindenken können. Dies widerspricht der pädagogischen (und politischen)
Forderung, dass Frauen gleichwertig und positiv dargestellt werden sollen. Es
entspricht aber einfach den historischen Tatsachen, dass die regierenden Für-
sten, die Landvögte, Landesverweser und Landtagspräsidenten, die Offiziere,
Unternehmer und Zeitungsredaktoren ausnahmslos Männer waren. Trotz die-
ses unbestrittenen Übergewichts an «männlicher Präsenz> im Lehrbuch, soll in
der Unterrichtspraxis immer wieder auf die Situation der Frau eingegangen
werden, wozu das Lehrmittel nur Anregungen geben kann.»*
Trotz fehlender Frauenforschung, was die liechtensteinischen Verhältnisse
anbelangt und demzufolge eines akuten Mangels an formulierten Ergebnis-
sen, scheint mir der Anspruch eines Lehrmittels der 90er Jahre, hinsichtlich
der Situation der Frauen nur Anregungen zu vermitteln, als allzu bescheiden.
AS