ihre Füsse nicht entzücken, so zieht man doch im
fremden Haus nicht deshalb seine Schuhe aus.
Durch Zebewohl, in kurzer Zeit, wär'n Sie von die-
sem Leid befreit»,
Dieser Laden wurde später aufgehoben und der
Schumacher hatte seine Werkstatt dort. Auch er ver-
zierte den Eingang mit einem imponierenden
Spruch: «Ich borge nicht, denn oft hab ich’s emp-
(unden, dass ich dabei mein Geld verlier” und dazu
noch die Kunden»,
Ein und aus ging ich auch im Armenhaus. Da gab’s
so viele merkwürdige Typen. Es roch nach Kuchen
und Kohl. Der alte Wolfgang schlurfte mit seinen of-
fenen Holtschen durch die Gänge, Bernharda zeigte
ihren ausgestopften Busen, ‘s Justini sang mit zahn-
losem Mund. Mein grösstes Interesse aber fand der
schöne alte Mann vom Berg, mit seinem langen,
schneeweissen Bart und dem runden bestickten Käp-
pi. So stellte ich mir Gott-Vater vor. Ich hatte grosse
Ehrfurcht vor seinem Ebenbild. Er setzte sich mit mir
auf die Bank unter dem blühenden Holunderbaum
ınd erzählte mir Geschichten, die ich zwar kaum
verstand. Es war jedoch seine Stimme, die mich in
ihren Bann zog.
Angezogen wurde ich auch vom Ententeich beim
Bürgerheim. Aber nur so lange, bis der kleine Jules
darin fast ertrunken wäre. Ich sah, wie er immer tie-
fer und tiefer sank. Ich erstarrte zur Säule, konnte
kein Glied mehr bewegen, ohnmächtig; völlig hilflos,
bis sich in meiner Kehle etwas löste und ich anfıng
zu schreien. Ich schrie und schrie pausenlos, was
meinen Ehni auf den Plan rief, der sich in der Nähe
aufgehalten hatte. Jules war schon lange gerettet, als
ich immer noch dastand und schrie, unfähig mich
zu bewegen. Grossvater musste mich kräftig schüt-
eln, bis ich wieder zu mir kam.
Ein anderes gravierendes Schreckerlebnis blieb mir
ebenfalls fest in Erinnerung: An einem sehr kalten
Wintertag hielt der Sunna-Moritz seine Zunge ans
Eisengeländer vor dem Dorfbach bei der Fabrik. Die
Zunge fror an und der Arme konnte sich nicht mehr
selbst befreien. Wie dann seine Rettung genau vor
sich gegangen ist, kann ich nicht mehr mit Be-
stimmtheit sagen. Ich weiss nur noch, dass ‘s Gusta-
va Hedwig mit Heisswasser zu Hilfe eilte.
Zu bewundern gab’s am Wegrand noch die Zääna-
macher, die bei der Dröschi sassen und Körbe floch-
en, den schönen Pfau beim Bauernhof und ganz toll
war’s beim Götti auf der Post mit den Stöpseln, mit-
"ls denen man Telefonverbindungen herstellte. Es
gab damals erst wenige Anschlüsse in unserem Dorf.
Stimmen aus der Ferne zu hören von Menschen, die
man gar nicht sah - ich kann gar nicht sagen, wie
mich dies beeindruckte, genauso wie das Kästchen.
das man Radio nannte.
Selbst wenn man so gerne id Vätterlischual ging,
wie es bei mir der Fall war, scheint es mir heute doch,
dass Hin- und Rückweg mindestens gleich interes
sant waren, wie der Kindergartenbetrieb selbst.
Natürlich haben sich die Verhältnisse seit damals ex-
trem verändert, allein schon verkehrsbedingt. Ich
vermute, dass die Kinder heutzutage vieler positiver
Eindrücke beraubt werden, weil es teilweise notwen-
dig wurde, sie per Auto hinzuführen und sie wieder
abzuholen.
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