Volltext: Vor Vätterlischual zum Kindergarta

de Spiele zu machen, wie zum Beispiel « S fuul Ei». 
Und seit sie ausgerechnet mich einmal zum faulen 
Ei stempelten, hasse ich alle diese Spiele, samt den 
grossen Mädchen. 
Sonst aber war es wunderschön im Kindergarten 
und ich ging liebend gerne hin, bis zu jenem Tag, 
als Schwester Lidwina ver 
schwand. Eines Morgens 
kam ich hin, erwartungsvoll, 
ausser Atem, zu spät natür- 
lich - und eine wildfremde 
Schwester schimpfte mich 
aus. Wo ist Schwester Lidwi 
na? Sie werde nie wieder 
kommen, ist alles, was ich in 
Erfahrung brachte. Ab sofort 
werde Schwester Anna die 
neue Kindergärtnerin sein. 
Damit war meine Vätterli- 
schualzeit mit einem Schlag 
abrupt beendet, denn ich 
weigerte mich erfolgreich, 
das Haus je wieder zu betre- 
ten. Es dauerte sowieso nur noch kurze Zeit, bis ich 
in die «richtige» Schule durfte, 
Mehr als fünfzig Jahre werden durchs Land ziehen, 
bis ich die Geschichte vom damals abrupten Wechsel 
der beiden Klosterfrauen erfahre, erzählt von Schwe- 
ster Anna persönlich, die jahrzehntelang den Tries- 
ner Kindergarten leitete, zwei Generationen unter 
ihre Fittiche nahm, zur Ehrenbürgerin der Gemeinde 
und zur Legende wurde. 
Auf dem Rückweg schnell das Fiüdifminuta-Söppli 
und dann ins Haus zum Madleni, der Kappili-Mes- 
merin. Wenn ich früh genug war, durfte ich um elf 
Uhr mit in die Muttergotteskapelle, um den «Engel 
des Herrn» zu läuten. Ich war noch zu klein, um den 
Strick zu erreichen und so hob mich das Madleni 
hoch. Ich war aber auch nicht kräftig genug und es 
bimmelte zu meinem Schreck bloss erbärmlich 
Madleni lachte nur, stellte mich wieder auf den Bo 
den und läutete den Englischen Gruss schön regel 
mässig. 
Wenn man Halt im Beck-Tuni-Laden machte, sag- 
te die Frau zum Abschied immer freundlich: 
«Komm mee». Das gefiel 
mir ganz besonders. Ich 
nahm die Aufforderung 
wörtlich und benützte jede 
Gelegenheit, um in ihren La 
den zu schlüpfen. 
Dann das Inserti-Wibli im 
Kosthaus, eine liebe alte Ita- 
Jenerin, die nur mangelhaft 
deutsch sprach. Ihre Sprech- 
weise faszinierte mich unge- 
mein. Sie lehrte mich die er- 
sten italienischen Worte: 
«Jalte, Dane, buona nolte, 
dorme bene». 
Im Adler war ich Stammgast. 
Da lebte meine bevorzugte 
Kindsmagd, das Irmili. In der Gaststube durfte ich 
dem pensionierten Fabrikdirektor Arbenz mein Lie- 
derrepertoire vortragen: «Du schwarzer Zigeuner», 
«Adieu mein kleiner Gardeoffizier», «0 Donna Kla- 
ra». Dafür erhielt ich sogar richtiges Geld und auch 
ZU essen. 
Arbenz las mir das grosse Schild an der Wand vor, bis 
ich’s auswendig konnte: «Die Rose blüht, der Dorn, 
der sticht, wer gleich bezahlt vergisst es nicht». 
Wenn wir schon bei Sprüchen sind: sie übten auf 
mich einen besonderen Reiz aus und ich lernte 
rasch, sie zu entziffern. Da gab es im Dorf einen 
Haufen davon, so auf Tafeln, Plakaten, Wandscho- 
nern usw. In Grosstante Gretlis Laden war nebst dem 
Kaffe-Plakat auch eine Werbung für Hühneraugen- 
salbe: «Wenn Hühneraugen Sie auch drücken und 
Schutzengel mein, 
lass mich Dir empfohlen sein. 
Tag und Nacht ich bitte Dich. 
schütze, schirme, leite mich. 
Hilf mir leben gut und fromm, 
dass ich in den Himmel komm. 
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