Wasser ın Kult und Brauchtum
Franz Näscher
Eindrücke
Rauschende Bergbäche, tosende Wasserfälle, beruhi-
gender Regen in der Nacht haben mich schon immer
beeindruckt.
Eindrücke anderer Art waren für mich in den letz-
ten Monaten die Bilder von den Menschen in Sara-
jevo, die wegen eines Kanisters Wasser um ihr Leben
rannten. Solche Bilder machen uns, die am Wasser-
hahn drehen können und sauberes Wasser in Fülle
haben, wieder bewusst, was Wasser für uns ist: Wasser
ist Leben; wo das Wasser fehlt, ist der Tod. Genügend
gutes Wasser haben, bedeutet, das eigene Leben sicher
und geborgen wissen; bedeutet Lebensqualität.
Es gibt aber auch Bilder, die immer wieder Ein-
druck anderer Art machen: Bilder von Überschwem-
mungen, von Wassermassen, die in kurzer Zeit vieles
zerstören und Leben bedrohen. Und es gibt leider
auch die beschämenden Bilder des durch mensch-
liche Schuld gedankenlos verschmutzten und vergifte-
ten Wassers.
Das Wasser in den Weltreligionen
In allen grossen Religionen spielt das Wasser eine
bedeutende Rolle. Die bekanntesten seien hier kurz
erwähnt.
Im Judentum hatte das Wasser bei verschiedenen
rituellen Waschungen sowohl praktische als auch sym-
bolische Bedeutung. Dafür stand auf dem Vorplatz des
Tempels in Jerusalem das sogenannte “Eherne
Becken” (Ex 30,17-21). Ein besonderer Brauch gab es
am Nachmittag des Neujahrsfestes Rosch Ha-Schanä,
an dem man zu einem fliessenden Gewässer ging und
dabei die Bitte des Propheten Micha (7,19) sprach:
“In die Tiefe des Meeres wirf doch unsere Sünden!”
Im Hinduismus werden im vielfältigen Heiligen-
und Heroenkult besonders auch die Ströme und Seen
verehrt. An deren Ufern befinden sich die heiligen
Stätten, die Zentren der Wallfahrt. Am heiligsten ist
der Fluss Ganges mit der heiligen Stadt Benares. Wall-
fahrten zu heiligen Gewässern, rituelle Bäder und
Waschungen darin gelten als besonders verdienstvoll.
Der Islam kennt die Waschungen vor dem Betre-
ten der Moschee zum Gebet, um die rituelle Reinheit
zu erlangen. In Mekka gilt das Wasser des 42 Meter tie-
fen Zamzam-Brunnens, in einem eigenen, von einer
Kuppel überdachten Gebäude, als wunderwirkend,
weil er von Gabriel für Hagar geöffnet worden sei.
Auch in den heidnischen Religionen unserer Ge-
gend kam dem Wasserkult grosse Bedeutung zu.
Bischof Christianus Caminada hat ihn für das Bünd-
nerland in seinem Buch “Die verzauberten Täler”
nachgewiesen und erwähnt in diesem Zusammen-
hang die Feste Gutenberg in Balzers. Es fehlt mir die
Möglichkeit, diesem Thema in meinem Beitrag
genauer nachzugehen.
Für das Christentum ist die feierliche Liturgie der
Osternacht das beredteste Zeugnis für das Wasser in
Kult und Brauchtum: Im Wortgottesdienst wird be-
richtet von der Urflut und von der Rettung durch das
Rote Meer; es wird das Wasser in feierlicher Weise ge-
weiht und vielerorts, wie in den ersten Jahrhunderten,
die Taufe gespendet.
Das Wasser in der Bibel
In der Bibel gibt es unzählige Stellen, in denen vom
Wasser die Rede ist. Auf die wichtigsten soll kurz hin-
gewiesen werden.
Schon der zweite Satz der Bibel spricht vom Wasser,
über dem der Geist Gottes schwebt, und vom Land,
das sich, noch “wüst und leer” (Gen 1,2), aus der
Urflut erhebt. Mit dieser Aussage wird sogleich deut-
lich gemacht, dass das Wasser selber keine Gottheit
und auch nicht von Gottheiten bewohnt ist, wie das