Vorrang für das Gemeinwohl
Es wäre falsch, das neue Wasserrechtsgesetz als einen
Akt der Verstaatlichung, sohin als eine Überführung
der Gewässer in das Eigentum des Staates zu bezeich-
nen. Es handelt sich vielmehr um eine Überführung
in eine andere Kategorie von öffentlichen Sachen, die
nicht für den Staat, sondern für den Gemeingebrauch,
also für jedermann bestimmt sind. Das Sachenrecht
nennt dies die “Sachen in Gemeingebrauch” (Art. 552
5R). Die Wasserversorgung ist seit jeher eine der
wichtigsten kommunalen Aufgaben. Den Gemeinden
kommt daher im neuen Wasserrechtsgesetz eine Son-
derstellung zu. Die Gemeinden haben Anspruch dar-
auf, dass ihnen die Regierung, die sozusagen Verwalte-
rin der “Sachen in Gemeingebrauch” ist, für ihre
Versorgung die Konzession zum Bezug von genügend
Wasser einräumt (Art. 13 WRG). Sie müssen sich also
nicht mehr um die Überlassung von Quellen durch
Private oder Genossenschaften für ihre Wasserversor-
zung bemühen.
Das Privatrecht befindet sich seit Jahren auf dem
Rückzug, auch in Liechtenstein. An die Stelle der
freien Entscheidung des Eigentümers tritt die Verwal-
tungsverfügung. Besonders das private Eigentum wird
dadurch immer mehr zur leeren Form. Dies ist eine
bedenkliche Entwicklung, der vermehrt ernste Beach-
tung geschenkt werden muss. Was jedoch die Gewäs-
ser betrifft, kann es keinen Zweifel geben: Zur Siche-
rung und zum Schutz der Wasservorkommen geht das
Gemeinwohl vor, hat das öffentliche Recht Vorrang
vor dem privaten Recht. Der Weg, der mit dem neuen
Wasserrechtsgesetz gegangen wurde, musste gegangen
werden, so stark der Eingriff in unser Privatrechts-
system auch ausgefallen ist.
Literaturverzeichnis
Beck, Wilhelm: Kurzer Bericht zum Personen- und
Gesellschaftsrecht. Vaduz, 1925.
Liver, Peter: Das Eigentum. In: Schweizerisches Privat-
recht. Sachenrecht. Hrsg. Arthur Meier-Hayoz.
Basel, Stuttgart, 1977. Bd. 5, 1. Halbband.
Die ehehaften Wasserrechte in der Schweiz. In:
Beiträge zum Recht der Wasserwirtschaft und zum
Energierecht. Festschrift für Paul Gieseke. Karls-
ruhe, 1958.
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