Als das Vaduzer Abwasser “laufen” lernte
Hubert Frommelt
Vor fünfzig Jahren: “idyllische Verhältnisse”
Die Älteren unter uns werden sich noch gut an die
idyllischen Zustände vor 50 Jahren erinnern können.
Um 1945 hat Vaduz 2300 Einwohner.
Entlang der Altabach-Strasse rauscht in einem offe-
nen Gerinne das Bächlein herunter. Da und dort spru-
delt das Wasser aus einem Dorfbrunnen. Noch sind
ıängst nicht alle Strassen asphaltiert. Neben der einen
oder anderen Strasse verläuft ein offener Strassengra-
ven: Der abwassertechnische Standard ist mehr als
vescheiden. Das gute alte Plumpsklosett, der Misthau-
fen und der Güllekasten gehören noch gar nicht zu
den Raritäten.
[m neueren Dorfteil, das heisst nördlich des Bock-
wingerts, sind nicht weniger als 100 Sickergruben in
Betrieb. Um eine zu rasche Verschlammung dieser
Sickergruben zu verhindern, wurden denselben soge-
nannte Hausklärgruben vorgeschaltet.
Im alten Dorfteil sind fast ausnahmslos Hausklär-
zruben — ebenfalls zirka 100 Stück — installiert, mit
direktem Anschluss an irgendeine Ableitung in den
Giessa.
Die Zahl der Klosetts beträgt etwa 530, während in
100 Gebäuden mit schätzungsweise 500 bis 600
Bewohnern solche Einrichtungen fehlen. Vorschriften
über die Erstellung von Hauskläranlagen gibt es nicht.
Deshalb sind die Anlagen bezüglich Disposition als
auch der Grösse ungenügend.
Man sprach damals von Faul- und Klärgruben. Die
Faulgruben entsprechen ungefähr den heutigen zwei-
>der dreiteiligen Abwasserfaulräumen. Hier setzen
sich die festen Bestandteile ab und faulen aus, wenn
die Abwasserräume genügend gross sind und regel-
mässig gewartet werden. Andernfalls wird das ent-
schlammte Wasser infiziert und beginnt zu faulen.
Folge: Es stinkt zum Himmel. In den Strassen dringen
diese “Düfte” durch die Schachtdeckel nach oben, in
den Häusern durch die Hausleitung ins Innere. Musste
man solche schlecht gewarteten Faulgruben aus irgend-
einem Grund öffnen, stiess man nicht selten auf 20
Zentimeter dicke Schwimmschlammschichten, die so
stark verkrustet waren, dass man sie mit einem Pickel
aufbrechen musste. Das “gereinigte” Abwasser wurde
vielfach über Sickergruben in den Boden abgeleitet.
Im kiesigen Untergrund des Talbodens bedeutete dies
eine Gefährdung des Grundwassers und damit der
Wasserversorgung, Im aufwärtigen Gebiet mit seinem
teilweise lehmhaltigen, schwer durchlässigen Boden
hatte es zur Folge, dass die Versickerung zunehmend
schlechter funktionierte und schliesslich vollends ver-
sagte. Plötzlich kam der Dreck irgendwo an der Ober-
fläche heraus. Mit aufwendiger Arbeit, zum Teil mit
radikalen Mitteln wie Sprengen, musste versucht wer-
den, die Sickergrube zu reaktivieren.
Das einstige Bächlein im Altabach mit dem Brunnen
bei der Einmündung Egertastrasse