_
x
4
Johann Georg von Hamilton
Flandern (tätig in Wien), 1672-1737
DIE KAISERLICHE REITSCHULE IN WIEN
ÖL auf Leinwand; 69 x 89 cm
Liechtenstein Inv. Nr. 759
Im Jahre 1702 war Leopold I. seit vierundvierzig Jahren römischer Kaiser. Sein ältester Sohn Joseph
war vierundzwanzig Jahre alt und im Jahre 1690 zum römischen König (Titel des gesetzlichen
Erben) gekrönt worden. Er würde fünfzehn Jahre später den Kaiserthron besteigen. Leopolds
jüngster Sohn Karl war siebzehn, und als Erbe der spanischen Linie der Habsburger sollte er König
von Spanien werden. Der Streit um die Nachfolge auf dem spanischen Thron war der Zankapfel
zwischen den europäischen Mächten im Spanischen Erbfolgekrieg. 1703 reiste der junge Erzherzog
Karl in Begleitung seines Mentors, des Obersthofmeisters Fürst Anton Florian von Liechtenstein
(1656-1721), über England und Portugal nach Spanien, wo er bis zum Tod seines Bruders 1711
blieb. Nach seiner Rückkehr in Wien wurde er zum Kaiser Karl VI. bestimmt, während Fürst Anton
Florian das Amt des kaiserlichen Obersthofmeisters übernahm.
Auf diesem Bild sind zwei Edelleute beim eleganten fürstlichen Zeitvertreib, dem Reiten, zu sehen. In
der Mitte des Bildes führt Erzherzog Karl seinen spanischen Hengst durch die Piaffe, eine der
klassischen Übungen der Hohen Schule. Fürst Anton Florian und Graf Cobenzl stehen links im
Vordergrund; hinter ihnen vollführt ein Hengst eine Kapriole.
Das Pferd nahm im höfischen Leben einen hohen Stellenwert ein. Beim Reiten war es der treue
Begleiter des Ritters und des Helden; in Prozessionen und Paraden war es unentbehrlich zur
Vervollkommnung des feierlichen Bildes. Seine Ställe ähnelten Palästen, und seine Erscheinung
wurde in Porträts festgehalten. Die Liechtensteiner Sammlung umfaßte eine Anzahl von
Pferdeporträts, die alle zwischen 1700 und 1720 entstanden, und es gab ebenfalls eine ganze Reihe
solcher Gemälde in der kaiserlichen Sammlung.
Zwei der bekanntesten zeitgenössischen Tiermaler waren die Brüder Johann Georg und Philip
Ferdinand (1664-1750) von Hamilton, die beide aus den Niederlanden stammten. Sie kamen gegen
1700 nach Wien, wo sie vor allem für den Hof Kaiser Karls VI. arbeiteten. Zweifellos enthält die
Darstellung der Reitschule "Porträts" von Reitpferden der Liechtensteinischen Ställe, so daß man
davon ausgehen kann, daß eine Vielfalt von Farben, zum Beispiel Schecken, Tiger, Isabellen usw.,
gezüchtet wurden. Reine weiße oder schwarze Pferde kamen erst in der Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts in England in Mode. Nachdem diese Woge auf den Kontinent übergeschwappt war,
wurden die kaiserlichen Lippizaner fast ausschließlich in purem Weiß gezüchtet, eine Erscheinung,
die uns heute so vertraut ist
Georg Kugler