WIENER BIEDERMEIER
Das Wehen der Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen der Getreide, das Wogen
des Meeres, das Grünen der Erde, das Glänzen des Himmels, das Schimmern der
Gestirne halte ich für gross.
Adalbert Stifter, aus der Vorrede zu « Bunte Steine » (1852)
Das Bedürfnis nach Überschaubarkeit des Lebensbereiches und die Selbstbescheidung
auf Werte der Innerlichkeit gelten zu Recht als Grundzüge des österreichischen
Biedermeier. Dem Stürmen und Drängen waren Geborgenheit und Ruhe gefolgt, der
grossen Geste gewissenmassen der Handschlag zwischen Gleichgesinnten. Was der Blick
über Distanzen und Panoramen, über die Zusammenhänge der Welt und das Räderwerk
der Politik nur zu leicht übersieht, war ins Gesichtsfeld getreten: Unscheinbares wurde
für gross gehalten, Natürliches zum stillen Gesetz erklärt. Dieser Rückzug auf das Nahe
und das Bekannte, das Einfache und das Innige - wenn denn dieses auch nicht als ein
Rückschritt bewertet sein darf - war in Österreich aufgeweckt, das alte Europa war unter
dem Ansturm Napoleons zerbrochen. Blut des Kaiserhauses hatte den Usurpator
legitimieren müssen, aber es war auch der Boden Österreichs, auf dem erstmals mit
Aspern die Bezwingbarkeit Napoleons erprobt worden war. Gelang seine endgültige
Niederringung zwar fern von Österreich, so war noch einmal und für ein letztes Mal von
Wien aus Europa geordnet worden. Die Restaurationszeit unter Fürst Metternich hatte in
der Politik Frieden und Gleichgewicht hergestellt, dem Bürger aber jegliche Einmischung
in die Geschäfte des Staates untersagt. Autoritär, wenn auch nicht totalitär, regierte der
Staatskanzler die Untertanen des Kaisers, denen Ruhe als erste Bürgerpflicht verordnet
war. Der Künstler, war er demokratisch gesinnt, geriet leicht in die Schlingen der Zensur.
War er aber sorgsam genug, eine Trennungslinie zwischen seinem Werk und den
Belangen der Obrigkeit zu ziehen, so galt die Ruhe auch für ihn und er konnte sich seine
eigene Welt in der des Staates aufrichten. Künstlerzirkel enststanden, wie etwa die
ungemein wienerische Spielart der Sschubertiaden. Mit Geselligkeit und Lebensfreude
übertrumpfte man so manche liebe Not, Originalität bis hin zur Kauzigkeit standen hoch
im Kurs. Ein glanzvoller Aufstieg wie den Malerfürsten früherer Zeiten war allen
Künstlern versagt, allein Stipendien, Anstellungen als Kammermaler oder Professuren
winkten. Doch es gab kaum Rebellen und nur ein einziges Angriffsziel. 1809 hatten die
Lukasbrüder um Oberbeck gegen die Enge des Klassizismus, wie er an der Wiener
Akademie gelehrt wurde, aufbegehrt und waren in das künstlerische Exil nach Rom
ausgewandert. Ein ferner Wellenschlag der religiösen Begeisterung und altmeisterlichen
Erneuerung dieser Bruderschaft erreichte Wien. Später hat sich Waldmüller mit der
ganzen Heftigkeit seines Naturells gegen die Einrichtung der Akademie gestemmt und
gegen sie verloren. Die Übrigen fugten sich in die wenig geliebte Ausbildungsstätte,
wenn es auch scheint, dass gerade die Bedeutendsten ihre Schulung mehr als der
Akademie dem Atelier des Vater oder autodidaktischen Studien verdankten. Man mag
versucht sein, die Anpassung an die Verhältnisse, das Einhalten der verordneten Ruhe zu
bedauern und die Künstler mit dem Schimpfwort zu bedenken, das ihnen gegen Ende des
19. Jahrhunderts angehängt wurde: den Namen zweier Witzgestalten der « Fliegenden
Blätter » von 1848, Biedermann und Bummelmaier. Und als wären diese Synonyme für
Harmlosigkeit, Unbedarftheit und Biedersinn nicht genug, wurde ein neuer Leisetreter
aus der Vereinigung beider Namen geboren: Gottlieb Biedermaier. Treuherzig-naive