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Peter Paul Rubens
Flandern, 1577-1640
PSYCHE, ZUM OLYMP GETRAGEN
Öl auf Holz; 64 x 47,8 cm
Liechtenstein Inv. Nr. 117
Rubens brillanter Einfallsreichtum kommt besonders in seinen Ölskizzen, die er zur Vorbereitung
seiner großformatigen Arbeiten anfertigte, zum Ausdruck. Die zeichnerischen Verkürzungen und die
drastische Ansicht von unten sind ein fast sicheres Indiz dafür, daß es sich bei diesem Bild um eine
Skizze für ein Deckengemälde handelt. Eine eingeritzte Linie deutet an, daß das geplante Format
rund sein sollte; Rubens malte jedoch am unteren rechten Rand über die Linie hinaus, als ob er eilig
einen ersten Entwurf habe anfertigen wollen. Davon abgesehen wurde die Skizze dieses
komplizierten Themas, die als dauerhafte Ölskizze und nicht als Zeichnung, die Veränderungen
unterliegen kann, entworfen wurde, jedoch mit großer Sicherheit gemalt. Die Ausdrucksstärke der
schnellen Pinselführung macht dieses Bild nicht nur zur wunderbarsten Ölskizze der reichen Rubens-
Sammlung in Vaduz, sondern gleichzeitig auch zu einer der bedeutendsten Leistungen des Malers in
diesem Bereich.
Auf dieser Skizze sind die Wolken, über denen sich der Himmel befindet, aufgebrochen, so daß der
Blick des Betrachters nach oben zur Versammlung der Götter des Olymp gelenkt wird. In
brausendem Flug wird das Mädchen Psyche, noch stets eine Sterbliche, von Merkur, dem
Götterboten, zum Thron Jupiters emporgetragen. Der Vater der Götter, majestätisch den Olymp
überblickend, schickt sich an, die Hochzeit zwischen Psyche und Amor, dem jungenhaften Gott der
Liebe, zu vollziehen. Amor, vor Jupiter kniend, erwartet seine Braut mit ausgestreckten Armen.
Venus steht links oben hinter ihrem Sohn Amor, Juno sitzt neben ihrem Mann Jupiter. Beide
Göttinnen werden Zeuginnen der Hochzeit sein. Die Drei Grazien halten den Brautkranz bereit.
Jedes Element trägt zum Gefühl der Erhabenheit bei, sogar Randfiguren wie die fliegende Putte mit
der Fackel - Hymen, der Hochzeitsgott -, und Jupiters Adler mit dem Bündel von Blitzen in seinen
Klauen verstärken das Gefühl himmlischer Höhe und Bewegung. Indem er die Hochzeit zwischen
Psyche und Amor schildert, folgt Rubens der lateinischen Geschichte von Apulejus, der von der
Liebe zwischen dem Gott und der Sterblichen erzählt: Gepeinigt durch Trennungen und
Mißverständnisse werden Psyche und Amor schließlich in himmlischer Verbindung zusammengeführt
und Psyche wie eine Göttin verehrt. Seit der Antike wurde diese Geschichte als Allegorie der
mystischen Verbindung zwischen der Liebe und der Seele (Psyche) verstanden und in dieser Form -
und als eigentliche Erzählung - seit der Renaissance wiederholt dargestellt.
Rubens' Skizze wurde nicht als monumentale Deckenmalerei ausgeführt, und es gibt keine
zuverlässigen Angaben über einen Auftrag oder ursprünglichen Zweck. Dieser Bereich steht
wissenschaftlichen Spekulationen offen. Burchard und d’Hulst (1963, S. 39 und 309), Croft-Murray
(1962, Bd. 1, S. 38 und 208) und danach Parry (1981. S. 141-142) nahmen das Thema als
Ausgangspunkt für ihre Diskussion und versuchten zu beweisen, daß die Ölskizze ein Beitrag zu
einem Auftrag war, den Jordaens bekam und auch ausführte. Dabei handelte es sich um eine Serie
von Deckengemälden, die die Geschichte der Psyche schilderten und ein kleines Zimmer im Queen's
House in Greenwich, einer königlichen Villa außerhalb Londons, schmücken sollten. Ein paar
Monate vor seinem Tod wurde Rubens von einem englischen Agenten gefragt, ob er gegen Jordaens’
Projekt antreten wolle; es blieb jedoch bei diesem Vorschlag. Es scheint außerdem sehr
unwahrscheinlich, daß Rubens unter den gegebenen Umständen seine Energie auf einen gemalten
Entwurf verschwendet hätte. Die vorliegende Skizze muß, was ihren Stil betrifft, vor 1640
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