zwischen Liebenden darstelle, die von Cupido, der auffällig in der Mitte der Komposition plaziert ist,
zusammengeführt wurden. Des weiteren zitiert Evers die philologische Abhandlung De Vesta et
Vestalibus Syntagma, die 1605 von Justus Lipsius, einem flämischen Gelehrten, den Rubens sehr
bewunderte, in Antwerpen veröffentlicht worden war. Beim Lesen des Buches wird klar, daß Rubens
äußerst gewissenhaft bei der Darstellung des Kultes der jungfräulichen Vestalinnen war. So
beschreibt Lipsius das Palladium als eine Statue der Göttin Pallas, die in der erhobenen rechten Hand
eine Lanze und in der linken einen Spinnrocken und eine Spindel hält. Rubens ließ die Spindel weg,
folgte aber im übrigen dieser Beschreibung und den Darstellungen auf römischen Münzen, die
Lipsius' Text begleiteten. Das Verständnis der Antike im siebzehnten Jahrhundert wurde zum Teil
durch das Studium der römischen Numismatik gefördert, die auch Rubens wiederholt für seine
wissenschaftliche Wiedergabe der klassischen Vergangenheit heranzog. Das Motiv der sitzenden
Rhea Silvia stammt höchstwahrscheinlich von der Rückseite römischer Münzen, die die Vestalinnen
auf ähnlichen Stühlen sitzend darstellten. Rubens könnte Illustrationen solcher Münzen in Guillaume
du Chouls Discours de la religion des anciens Romains (Lyons 1555), in dessen Besitz er
wahrscheinlich war, gefunden haben. Eine noch wichtigere Quelle aus der Antike könnte ihm jedoch
noch größere Dienste geleistet haben, nämlich der berühmte Sarkophag im Palazzo Mattei in Rom,
den Künstler seit dem sechzehnten Jahrhundert kannten. Er schildert dasselbe Thema, das auch
Rubens wählte: die Zusammenkunft von Mars und Rhea Silvia. Es gibt Ähnlichkeiten zwischen
beiden, nicht nur in den reliefartigen Kompositionen, denen es an Tiefe fehlt, sondern auch in solchen
Motiven wie Mars, der mit einem großen Schritt von links die Szene betritt, seinen rechten Arm nach
der ihm gegenübersitzenden Rhea Silvia ausstreckend. Daß Rubens einen klassischen Prototypen als
Vorlage für seine Komposition benutzte, unterstreicht seine Bewunderung für die Antike.
Ausgangspunkt seiner Bilder war häufig ein Beispiel aus der Antike, das er mit einer kraftvollen
Vitalität, Gefühlen und Energie füllte, wie das vorliegende Werk zeigt. In seiner eigenen Abhandlung
De imitatione statuarum befürwortet Rubens eine solche Inspiration bei bildhauerischen Prototypen
als eine lobenswerte Aufgabe für Maler, die dadurch der Kunst der Vergangenheit neues Leben
einhauchen würden.
Im Gegensatz zu seinen anderen Ölskizzen wollte Rubens hier die komplette Komposition in allen
Einzelheiten darstellen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß der Maler beabsichtigte, das Werk
von seinem Atelier ausführen zu lassen. Die Skizze würde seinen Gehilfen als modello dienen und
ihnen Richtlinien geben, wie sie die Komposition auf ein lebensgroßes Format, wahrscheinlich sogar
ohne Zuhilfenahme einer Zwischenzeichnung, übertragen könnten. Im Gegensatz zur großen
Leinwand, die in der Tat eine Arbeit der Rubens-Werkstatt ist, wurde die Skizze vom Meister selbst
angefertigt. Ein Vergleich beider Versionen zeigt, wie lebendig Rubens die Gesten und den Ausdruck
seiner dramatischen Personen sogar in einer vorbereitenden Skizze darstellen konnte. Im modello
stürmt Mars regelrecht auf die Szene, eine durchaus passende Bewegung für den aggressiven
Kriegsgott; in der größeren Version scheint er lediglich zum Altar hinüberzuspazieren. Auch Rhea
Silvias Haltung ist in der Skizze viel einfühlsamer festgehalten: ihre Scheu zwingt sie, leicht
zurückzuschrecken. Und nur auf der Skizze sind die Blicke zwischen Liebendem und Geliebter mit
großer Intensität wiedergeben. In der Ölskizze sind nicht nur Rubens' Originalideen und kreativer
Impuls bewahrt, sondern das Thema ist dort am wirkungsvollsten dargestellt. Die Skizze wird von
der großen Version nicht übertroffen.
Das Datum von Mars und Rhea Silvia und der Zweck, den es erfüllen sollte, müssen von Rubens'
großer Version des Themas abgeleitet werden. Offensichtlich diente die Vaduzer Leinwand, wie
auch die Bilder der Decius-Mus-Reihe, als Karton für einen Wandteppich. Aus technischen Gründen
werden Teppiche von der Rückseite her gewebt, So daß die Komposition des Kartons
spiegelverkehrt erscheint. Dies wird vom vorliegenden Bild bestätigt, auf dem Mars, Cupido und
Pallas Athene die Waffen wie Linkshänder halten. Obwohl mehrere Wandteppiche von Mars und
Rhea Silvia von der Brüsseler Manufaktur von Frans van den Hecke und Jan Raes hergestellt
wurden, so bleibt die Einordnung dieser Komposition in irgendwelche Serien von Wandteppichen
hypothetisch (siehe Göbel 1923, Bd. 1, S. 207). Man hatte sogar angenommen, daß die große