LITERATUR: Kat. 1873, Nr. 832; Kat. 1885, Nr. 553; Bode 1896, S. 110; Kat. 1931, Nr. 553; Kat. 1967, S. 22;
Baumstark 1980, Nr. 72. ; > >
98-99
Anthony van Dyck
Flandern, 1599-1641
PORTRAT EINER FRAU
Öl auf Holz; 104,5 x 75,6 cm
Inschrift: A° 1618. Aet. 58
Liechtenstein Inv. Nr. 71
PORTRAT EINES MANNES
Öl auf Holz; 105,8 x 73,5 cm
Inschrift: A° 1618. Aet. 57
Liechtenstein Inv. Nr. 70
Nach seiner Einschreibung als Meister in der Antwerpener Sankt-Lukas-Gilde am 11. Februar 1618
war van Dyck berechtigt, seine Karriere als unabhängiger Künstler fortzusetzen. Dies könnte den
plötzlichen Aufschwung seiner Aktivität als Porträtmaler erklären, denn nach seinen frühreifen
Anfängen als Vierzehnjähriger hatte seine Tätigkeit auf diesem Gebiet nachgelassen. Obwohl er sich
vor 1618, während er in Rubens' Atelier arbeitete, mit Historienbildern beschäftigt hatte, kann keines
seiner Porträts mit Sicherheit auf den Zeitraum zwischen 1613 und 1618 datiert werden. Ungeachtet
dieser Lücke kam durch van Dycks starkes Interesse am Individuum seine natürliche Begabung für
die Porträtmalerei zum Vorschein, ein Bereich, in dem er seinen größten Ruhm erlangen würde
Dieses namenlose Paar sowie dasjenige in Dresden, die alle das Datum 1618 tragen, bilden den Kern
einer Gruppe von Porträts, die in jenem Jahr entstanden. Dazu gehören noch Ein älterer Mann,
Porträt eines Mannes (Metropolitan Museum of Art, New York) und Eine flämische Dame
(National Gallery of Art, Washington, Andrew Mellon Collection). 1618 war ebenfalls das Jahr, in
dem van Dycks Beschäftigung als Gehilfe in Rubens' Atelier seinen Höhepunkt erreichte, der Einfluß
des Meisters auf diese ersten Porträts war folglich sehr stark. Van Dyck folgte in seiner Malweise
Rubens' flämischen Porträts und übernahm das von ihrem Landsmann Anthonis Mor, dem
bedeutendsten und einflußreichsten Porträtmaler Europas im späten sechzehnten Jahrhundert,
entwickelte Format. Die Personen werden ungefähr bis zur Hüfte dargestellt, vor einem dunklen,
undifferenzierten Hintergrund, ihre Körper in einem leichten Winkel dem Betrachter zugewandt.
Außer formalen Ähnlichkeiten gibt es in van Dycks frühen Porträts noch derartige technische
Ähnlichkeiten zu Rubens' Bildnissen aus der Zeit nach 1610, daß bis heute nicht mit Sicherheit
festgestellt werden kann, ob Werke wie Jean de Cordes und Jacqueline van Caestre (Musees
Royaux des Beaux-Arts de Belgique, Brüssel) von Rubens oder van Dyck stammen. Obwohl das
vorliegende Bildpaar von Bode im Jahre 1896 zu Recht van Dyck zugeschrieben wurde, so teilt es
doch mit Rubens' Werken den Untergrund aus Holz und die Art und Weise, wie die Farbe
aufgetragen wurde. Während dieser kurzen Zeit ahmte van Dyck Rubens' Technik, die Rosenbaum
van Dycks "plastischen Stil" nannte, nach und modellierte die Haut, indem er viele feine Pinselstriche
einer ungemischten Farbe nebeneinander über eine zarte cremefarbene Schicht malte. Während die
kleinen, dicken Striche in Rot, Creme und Schwarz den Gesichtern und Händen Tiefe und Volumen
verleihen, so haben van Dycks Porträts aus dieser Zeit doch nicht Rubens' massive, plastische
Qualität. Was sie an physischer Präsens verlieren, gewinnen sie jedoch an psychologischer Feinheit.