unglaublichen Bild fand dann, gerade noch rechtzeitig vor Abschluß des Manuskriptes anläßlich der
dezemberlichen Sotheby’s-Altmeister-Auktion statt, auf der das Bild mit der Nr. 46 zur
Versteigerung stand. Die Wirkung, die dieses Gemälde allein entfaltet, ist schon großartig. Wie
müssen die sechs gleichgroßen Gemälde, von denen das Sotheby’s Bild das einzige in der
Darstellung bekannte ist, in einem einzigen Raum (?) als Ensemble gewirkt haben? Man muß sich das
vorstellen: ca. 35 qm bemalte Leinwand. Und das ein einziger Auftrag! Josses Werkstattbetrieb in
Antwerpen, der mit einem solchen Riesenauftrag fertig wurde, kann nicht viel kleiner gewesen sein
als der des viel berühmteren Rubens. Doch wenden wir uns ein letztes Mal den Kompositionen selbst
zu, um den « Streifzug » durch das Mompersche Werk - sicherlich war es kein « Spaziergang » - mit
einigen Bemerkungen zu diesen absoluten Höhepunkten der flämischen Landschaftsmalerei der 20er
Jahre zu beenden. Die Gesamtlage des Raumes, die Grundmuster der Komposition der « Großen
Gebirgslandschaft » aus Wien und der « Großen Gebirgslandschaft » aus Madrid sind weitgehend
identisch: von leicht erhöhtem Standpunkt - in Madrid etwas mehr, in Wien etwas weniger - schaut
der Betrachter auf ein grandioses weites Bergtal hinab. Die seitliche Rahmung - die nur im linken
Teil mit den Räumen vordergründig auch so wirkt, die rechte Rahmung in Madrid ist das
Gesamtfelsmassiv selbst, während sich der große braune Felsen in Wien in rahmender Funktion sehen
läßt - lenkt den Blick des Betrachters nach links unten in die Ferne des Tales. Links reicht eine
altmodische Vordergrundkulisse bis an den oberen Bildrand und setzt so ein Gegengewicht zum
optisch und auch inhaltlich viel schwereren rechten Teil der Komposition. Vielfache, teilweise sehr
komplizierte und hintergründige Verzahnungen und Überschneidungen binden die Raumteile, die als
solche durchaus bestehen und benennbar sind. Mir scheint, als sei es in erster Linie die ornamentale
Linienführung, die Verbindendes, Einendes schafft. Verfolgen wir dies etwas weiter: Der Kontur des
Vordergrundes, in unruhiger Linie, im Astwerk sprühend, in Felsen sich buckelnd, sich
zusammenziehend, auf- und niedersteigend, nie gerade, waagerecht, immer in Bewegung, spaltet sich
mehrfach ab, eilt in den Mittelgrund, findet dort Korrespondenz im Kontur der mittleren, dunklen
Bergzone, schwingt sich im Wiener Felsen rechts auf grandioser, ornamentaler Wucht, springt von
dort (auch im Madrider Bild, wo der Monolith rechts nur wenig kleiner ist!) über zu den Felsriesen
des Hintergrundes, treibt dort sein temperamentvolles Spiel weiter, verformt sich zu reiner Phantasie,
wird im Ungreifbaren der sich auch materiell in den Wolken optisch auflösenden Massen zu
traumhafter, entrückter, unfaßlicher Illusion. So entstehen jeweils im rechten, oberen Bildteil Zonen,
in denen wir uns als Menschen nicht mehr wiederfinden können. Räume für die Zusammenkunft von
olympischen Göttern. Die ornamentale Schönlinigkeit, in der sich der Raum gleichsam rhythmisch
nach den Seiten hin - also zweidimensional - und zur Ferne hin - also dreidimensional - entwickelt,
greift über auf alle anderen Stilmittel und bindet die gesamte Darstellung, alle Formen, Motive,
Räume, Farben ein in ein grandioses, überdimensionales Ornament. Und nun, der sich daraus
ergebende Gegensatz, aus dem beide Bilder ihre besondere Spannung beziehen: Ornamental und
Dekoration sind Begriffe, die uns bekannt sind. Weniger geläufig die Verbindung des Ornamentalen
mit dem Erhabenen und Monumentalen, die wir hier ja herstellen. Sind diese Bilder in ihrer Funktion
als Tapetenersatz, das eine 5,6, das andere 5,9 qm Wandfläche abdeckend, nun reine Dekoration?
Gewiß nicht! Weil die malerische Qualität zu gut ist - denken wir nur an all die anderen
mittelmäßigen Gemälde, die als Wanddekorationen entstanden sind. Weil Vielfalt und Fülle der
Formen von Josse in diesen beiden Bildern ganz besonders eindrucksvoll ins Erhabene und
Monumentale hinübergeführt werden. Weil die Menschen in ihrer Kleinheit gegenüber der
Mächtigkeit der Bergwelt, in ihrem Dahinziehen gegenüber der Beständigkeit der immerwährenden
Felsen viel mehr sind als lustige, bereichernde Staffage. Weil sie als Symbole der Vergänglichkeit das
Beständige von Natur zum Ausdruck bringen. Das Ornamentale nun, wie ich den Gestaltungswillen
zu beschreiben versuchte, unterscheidet sich in den besten Werken des späten Momper wesentlich
vom Bildornament des Manierismus, das vielfach Selbstzweck ist, ohne die einende, großartige Idee,
die das Erhabene trägt. Im Ornamentalen Josses fließen dagegen Realität und Phantasie - denn diese
Bergwelten sind beides zugleich, Bewegung und Dynamik -, Rationales und Irrationales zusammen,
in ihm vereinigen sich prinzipielle Stilmerkmale des 17. Jahrhunderts, des Barock. Erich Hubala hat
das von ganz anderem Ausgangspunkt in einem Beitrag « Grundzüge der Kunst im 17. Jahrhundert »
der Propyläen Kunstgeschichte beschrieben, nicht im Hinblick auf das Spätwerk Josse de Mompers.