2. Seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ist ein halbes Jahrhundert ver-
gangen, seine Folgen aber sind noch heute ein mächtiges Element des
Zeitgeschehens, nicht nur in Deutschland. Und sie haben das Leben der
Überlebenden und Nachkommen nachhaltig beeinflusst und verändert,
und zwar weit mehr, als es den meisten Menschen eigentlich bewusst
oder sogar bekannt ist. Gerade die heute Heranwachsenden aber sollten
eigentlich viel mehr über jene Zeit und die Ursachen dieses entsetzli-
chen Geschehens wissen, über die Mechanismen der Diktatur, Anpas-
sung, Verdrängung und des Umgangs mit Schuld. Und daß diese Unter-
richtung sogar schon viel früher hätte stattfinden müssen, belegt die Tat-
sache, daß, während die Folgen des nationalsozialistischen Herrenmen-
schen- und Rassenwahns noch nicht überwunden sind, diese Ideologie
schon wieder Fuss gefasst hat. Zwar spricht man nicht mehr vom
«unwerten Leben» oder der Euthanasie, denkt aber bereits laut über
«unnützes Leben» nach, propagiert Beihilfe zum Selbstmord und kann
ungebremst Theorien von der Tötung von Menschen über 80 publizie-
ren. Und was KZ-Arzt Mengele in den Nazi-Labors an seinen jüdischen
Mitmenschen ausprobierte, wird dank moderner Medizin und For-
schung bereits praktiziert, indem man u. a. schon im Mutterleib die
Nützlichkeit oder Gesundheit des vorgeburtlichen Menschen testet, um
gegebenenfalls das Todesurteil auszusprechen und grausam zu voll-
strecken. Ein anderes, längst für unmöglich gehaltenes Erbe ist die Ver-
folgung von Ausländern und Andersfarbigen, die Schändung der Fried-
höfe Andersgläubiger und das Niederbrennen von deren Häusern. Sogar
eine Synagoge wurde bereits wieder angezündet.
Und schliesslich ist ein weiterer Aspekt, der mit diesem Stückchen
Kriegsgeschichte eben auch zu tun hat, daß die Vereinten Nationen
1995, das Kriegsende-Gedenkjahr und das Jahr des Erscheinens dieses
Buches also, zum internationalen Jahr der Toleranz erklärt haben ...
Als die hier nachzulesenden Ereignisse erstmals auf dem deutschen
Büchermarkt erschienen und dort wie an der Frankfurter Buchmesse
Beachtung fanden, meldeten sich nach und nach immer mehr Zeitzeu-
gen, die die Ereignisse interessiert hatte, darunter manche Weltkriegs-
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