Entstehung des EWR-Projekts 42
3.2. Verhandlungen "im Paket"
Die Verhandlungsgeometrie der EFTA-Seite bestand nun darin, dass die institutionel-
len Fragen parallel zu den substantiellen Problembereichen angegangen werden
sollten. M.a.W. wollte man gleichzeitig über Ausnahmen vom Acquis communautaire
und über Mitentscheidungsrechte der EFTA bei der Weiterentwicklung des EWR-
Rechts sprechen. Die Verhandlungsrichtlinien des Bundesrates hielten dazu
unmissverstàndlich fest: "Zwischen dem Inhalt des Vertrages, seinem materiellen
Deckungsbereich und den rechtlich-institutionellen Bestimmungen besteht ein
unauflóslicher Zusammenhang." ^ Die Meinung der Schweiz war von Anfang an,
dass Abstriche bei den Ausnahmewünschen von Fortschritten im institutionellen
Bereich abhängig gemacht werden sollten ??. Als die Verhandlungen im Herbst 1989
beinahe zum Stillstand gekommen waren, bot die EFTA der Gemeinschaft anlásslich
eines Treffens der Chefunterhándler in Muri bei Bern den Rückzug der Ausnahmewün-
sche an. Die Offerte war freilich bedingt: Sie sollte an ein Entgegenkommen der EU
in der Institutionenfrage, die Gewáhrung von Übergangsfristen und von Schutzklauseln
gebunden sein. Diese Diplomatie der "bedingten Óffnung" war indes im entscheiden-
den Punkt, der Mitbestimmungsfrage, nicht erfolgreich. Die schweizerische Position
stiess nicht nur auf den Widerstand der Kommission, die im Blick auf die Homogenitát
des angestrebten Binnenmarktes auf der praktisch umfassenden Rücknahme des Aus-
nahmekatalogs bestand, ohne im Gegenzug die volle Mitbestimmung zu gewähren s
Sie wurde auch innerhalb der EFTA unpopulér. Das hing damit zusammen, dass die
wichtigsten EFTA-Partner den EWR zunehmend als Durchgangsstadium betrachteten.
57 Verhandlungsrichtlinien des Bundesrates vom Juni 1990, 2.
58 Vgl. die Ausführungen des schweizerischen Verhandlungsführers Blankart in
NZZ Nr. 275 v. 26. 11. 1990, 17.
5 Vgl. etwa NZZ Nr. 268 v. 17./18. 11. 1990, 35; weiter bereits die Ausserungen
von EG-Prasident Delors vor offiziellem Verhandlungsbeginn in NZZ Nr. 97 v.
27. 4. 1990, 33.