Maurice de Vlaminck, Juan Gris, Henri Laurens, Georges
Braque, Fernand Leger und Andre Masson bebilderten
deren Bücher, jedoch nicht illustrierend, sondern mit
eigenständigen graphischen Formulierungen. Die moder-
ae Graphik hatte einen bedeutenden Stellenwert erlangt
und hat ihren Reiz bis in unsere Gegenwart nicht mehr
verloren. Sie wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts eine
viel erprobte Kunstform und autonome Kunstgattung.
Alle Techniken, über welche die Druckgraphik verfügt,
wurden angewandt und waren in Mixed media auch für
das Experiment offen.
Grosse Künstler des 20. Jahrhunderts haben einen bedeu-
‘enden Beitrag zur Druckgraphik geleistet. So bildet Pi-
cassos Suite Vollard sicher einen Höhepunkt innerhalb
der Kunst des 20. Jahrhunderts, Aber es waren durchaus
nicht nur Maler, die sich des druckgraphischen Mediums
angenommen haben. Auch Bildhauer machten es sich als
zin Medium zu eigen, mit dem sie ihre plastischen Ideen
'’n die Fläche umsetzten. Auguste Rodin war der erste
Bildhauer, der von Vollard aufgefordert wurde, an der
zweiten Edition der «peintres graveurs» teilzunehmen.
Jas graphische Blatt gibt den Anstoss, sich zeichnend
frei zu äussern, ohne dass das Werk in Zusammenhang
mit einer bestimmten Skulptur steht. Wie die Bildhauer-
zeichnung, die sich im 20. Jahrhundert von der dienenden
Funktion der Vorzeichnung zum freien künstlerischen
Ausdruck entwickelt, zum «Instrument der Erfindung»
‘Werner Hofmann) wird, ist die Druckgraphik von Bild-
aauern eine authentische Mitteilung des Künstlers. Wil-
1elm Lehmbruck war einer der ersten Bildhauer, die das
zraphische Blatt unter diesem Gesichtspunkt behandel-
ien. Kirchner, Käthe Kollwitz und Ernst Barlach schufen
‚eweils ein umfangreiches graphisches Werk. Henri Lau-
:ens’ plastisches Werk wird von wunderbar leichten Ra-
lierungen, Holzschnitten und Lithographien begleitet.
Henry Moore hinterliess nicht weniger als 718 graphi-
sche Blätter. Mirö als Maler und Bildhauer stand ihm in
seiner graphischen Produktion in nichts nach. Eduardo
Chillida setzt seine schweren, schwungvollen Stahl- und
Steinplastiken in die Fläche des druckgraphischen Blat-
tes um und versucht, den Oberflächenreiz seiner Skulptu-
ren dem Papier mitzuteilen. Das graphische Blatt para-
phrasiert gewissermassen seine plastische Arbeit. Aber es
hat sich im 20. Jahrhundert nicht allein die Druckgraphik
zum autonomen Medium und persönlichen Ausdrucks-
nittel der Künstler entwickelt. Die Zeichnung, jenes älte-
ste Verfahren, um den Ideen eines Menschen Gestalt zu
zeben, ist den gleichen Weg der Unabhängigkeit gegan-
gen. Sie hat im Schaffen eines Künstlers bedeutendes
Gewicht eingenommen und ist zum Träger seiner persön-
lichsten Ideen geworden. «Malend ausgedrückte Gedan-
zen» könnte man das Medium Zeichnung umschreibend
definieren. Zeichnungen geben Auskunft über die per-
sönliche Gestimmtheit des Autors, und sie legen seine
Qualität, seine Ehrlichkeit als Künstler, offen dar. Ob sie
mit Bleistift, dem schweren Strich der Kohle oder dem
zarten Tuschpinsel ausgeführt sind, immer sind sie ein
Wurf, der Gedanke eines Augenblicks. Das gleiche kann
für Aquarelle und Gouachen zutreffen. Die Zeichnung ist
Skizze, Studie, autonomes Kunstwerk und in all ihren Er-
scheinungsbildern immer nur eines: Kristallisationspro-
zess, in dem sich die emotionellen Energien des Künst-
'ers verdichten.
Ausnehmen muss man die Künstler der Minimal Art, bei
denen die «Idee oder die Konzeption der wichtigste
Aspekt der Arbeit» ist, wie Sol LeWitt 1967 in seinem
Aufsatz Paragraphs on Conceptual Art formuliert hat.
«Wenn ein Künstler eine konzeptuelle Form von Kunst
senutzt, heisst das;-dass alle Pläne und Entscheidungen
im voraus erledigt werden und die Ausführung eine rein
mechanische Angelegenheit ist.» In diesem Zusammen-
hang steht auch die Zeichnung, die Ideenskizze oder Ent-
wurfszeichnung ist. Ohne Zeichnung aber entsteht auch
.n der Minimal Art kein Objekt.
Leonardo da Vinci stellte die Handzeichnung an den An-
fang allen künstlerischen Schaffens, also sowohl seiner
nalerischen wie auch plastischen Überlegungen. Berech-
äigte Selbständigkeit hat sie darum schon im 15. Jahrhun-
dert erworben. Aber das 20. Jahrhundert, das die Kunst
aus ihren Traditionen befreite und revolutionierte, hat auch