James Baker Pyne (1800-1870)
See mit Bergen
Öl auf Leinwand
54 X 107 cm
1SK 68.10
Für das undatierte und unsignierte Bild See mit Bergen nahm
man vormals William Turner als Urheber an. Da diese Zuschrei-
bung aus stilistischen Gründen eher unwahrscheinlich schien,
wurden Recherchen angestellt, aufgrund derer dieses Werk
schliesslich James Baker Pyne zugeordnet werden konnte.'
Jer aus Bristol stammende Maler war 1835 nach London über-
siedelt. Wenngleich Autodidakt, erfreuten sich seine Werke bald
grosser Beliebtheit. Erfolg hatte er zunächst mit seinen virtuo-
sen Aquarellen englischer Landschaften.
In der Behandlung des Lichtes und der panoramaartigen Kom-
position standen diese Arbeiten Werken William Turners sehr
ıahe.? Doch während Turner teilweise heftige Kritik erntete für
das Bemühen, seinen Begriff von Erhabenheit — des Sublimen —
in die Landschaftsmalerei einzuführen, zeigte Pyne, besonders
auch in seinen Ölgemälden, noch deutlich den klassischen
Geschmack seiner Zeit. So ist er in Zusammenhang zu sehen mit
der englischen Hirtenmalerei,” aber auch mit den niederlän-
dischen Italianisten wie beispielsweise Aelbert Cuyp, der gros-
sen Einfluss auf die Landschaftsmalerei der Insel hatte und
den John Crome ebenso wie Turner zum Vorbild nahmen. Dies
wird deutlich in Pynes Gemälde Clifton, von den Ashton-Wiesen
21us gesehen aus dem Jahre 1836.* Die atmosphärische Stim-
mung und die Gestaltung des Wolkenbildes erinnern wieder an
Turner, die ausgewogene Komposition, das kontrastreiche Hell-
dunkel und die Harmonie des Sujets eher an die klassischen
Vorbilder. Die italianisierenden Werke Pynes sind stets von lich-
er Farbigkeit; das spätere (Euvre wird zunehmend heller und
weniger kontrastreich.
im Jahre 1846 hatte Pyne erstmals und zwischen 1851 und 1853
ı10ch einmal die Schweiz, Deutschland und Italien bereist. Er
war damit der Tradition englischer Künstler gefolgt, die seit dem
‚8. Jahrhundert das Festland und besonders die Schweiz be-
suchten. Für die Entwicklung erhabener Landschaftsdarstellun-
zen stellte die schroffe, bizarre Alpenwelt mit ihren Seen, Wild-
»ächen und Wasserfällen eine starke Inspirationsquelle dar.
Auch Pynes Werke spiegeln fortan seine Reisen wider, wie das
Gemälde mit dem Titel Bern von 1854 verdeutlicht.” Brachte
7urners Auseinandersetzung mit der Bergwelt Arbeiten hervor,
die den Gegensatz zwischen Mensch und Natur betonen und die
Verlassenheit sowie das Ausgeliefertsein des Menschen gegenü-
er der Natur und ihren Gewalten thematisieren, bleiben Pynes
Gemälde eher ländlich-idyllisch und bemüht, Harmonie zwi-
schen Mensch und Natur zu suggerieren. Die Betrachtung seiner
Arbeiten nach 1853 legt nahe, dass die Eindrücke alpiner Land-
schaften mit örtlichen Situationen seiner Heimat verschmolzen
sind. So ist für das Gemälde der Liechtensteinischen Staatlichen
Kunstsammlung auch eine topographische Festlegung nicht mit
Sicherheit möglich. Wahrscheinlich ist, dass in der Schweiz an-
zefertigte Skizzen im Atelier des Künstlers idealisierend in Öl-
zemälde umgesetzt wurden.
Zeitlich ist aufgrund des Sujets und der hellen Gesamtstimmung
des Bildes eine Datierung nach 1853 anzunehmen.
Jass-der Künstler zu Lebzeiten wohl durchgehend erfolgreich
war — im Gegensatz zu seinem uns heute bekannteren Zeitge-
nossen William Turner —, ist angesichts seiner sehr harmoni-
schen, teilweise mit idyllischen Figurenstaffagen ausgestatteten
und recht delikat im Detail sowie mit spannungsreichem Tiefen-
zug gemalten Werke-nicht verwunderlich. Auch das Bild der
_iechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung darf zu seinen
qualitätvollsten Arbeiten gezählt werden. CK.
Zur Sicherstellung dieser Zuschreibung wurde Korrespondenz geführt mit der Tate
Gallery, London, den Bristol Museums and Art Gallery, Bristol, und dem Victoria &
Albert Museum, London, dessen Kurator Ron Parkinson das Bild der LSK eindeutig
/. B. Pyne zuordnet. Siehe Korrespondenz der LSK.
Stainton, Lindsay: British Landscape Watercolours, 1600-1860. Ausst.-Kat. British
Museum Publ., London, 1985, S. 70, Abb. 117.
Tauptmann, William: La Suisse sublime. Vue par les peintres voyageurs 1770-1914
Mailand/Lugano, 1991, S. 35.
Gemälde in der City Art Gallery, Bristol.
Walker Art Gallery, Liverpool. Abb. in: Hauptmann, wie Anm. 3, S. 33.