Volltext: Bestandeskatalog

Bernhard Luginbühl (*1929) 
Eleganter Stengel, 1972 
Alteisen, Stahlrohr 
164 X 36 X 43,5 cm 
Bez. auf Schraubenschlüssel: Luginbühl 
LSK 94.23 
Arnold Rüdlinger hat 1955 in der Berner Kunsthalle die denk- 
würdige Ausstellung «Eisenplastik» mit dem berühmten Picasso- 
Zitat «Ich suche nicht, ich finde» eingeleitet und dann mit einem 
Hintergedanken an Julio Gonzalez weiter ausgeführt: «Jüngere 
Künstler versuchten einen ähnlichen Weg. Das Eisen wurde als 
neues, vielversprechendes Material entdeckt. Vorgefundenes 
verlangte nach Ergänzung, nach Verwandlung und Erhebung 
zum Kunstwerk.»' Diese Einsicht betraf, wie wir heute wissen, 
zwei beteiligte Schweizer Plastiker, Jean Tinguely und Bernhard 
Luginbühl, in besonderem Masse. Beide Künstler haben in der 
folgenden Zeit des öfteren miteinander gearbeitet und ausge- 
stellt. Die geschichtlich begründete und fruchtbare Künstler- 
freundschaft wurde mit dem Ankauf einer Arbeit von Bernhard 
Luginbühl, E/eganter Stengel von 1972, durch die Liechtenstei- 
aische Staatliche Kunstsammlung dokumentiert, in deren Besitz 
sich bereits die 1984 entstandene Plastik Chevalier ä la rose von 
Jean Tinguely (vgl. folgende Seiten) befand. 
Bernhard Luginbühl, der um 1953 von der traditionsgebundenen 
figürlichen Bildhauerkunst zur abstrahierenden Eisenplastik 
überwechselte, neigt dazu, bestimmte Grundformen mit Inhal- 
ten zu füllen und in zahlreichen Variationen abzuwandeln. Eine 
seiner bevorzugten Formen ist der Stengel. Luginbühl hat Sten- 
gel erfunden, die durch Angaben zu den einzelnen Bestandtei- 
len, zum Bestimmungsort oder zur Dimension unterschieden 
sind, z.B. Stengel mit Welle, Karlsruher Stengel und Grosser 
Stengel. Die Eleganz, welche bei der Namensgebung des Mon- 
tageobjekts der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsamm- 
ung angesprochen ist, dürfte auf das blanke Stahlrohrstück 
zurückgehen, das sich gegenüber den verrosteten Schrott- 
stücken des Sockels als «neu» oder «herausgeputzt» darstellt. 
Dass der Schraubenschlüssel am Fuss des Eleganten Stengels 
die Signatur Luginbühls trägt, kann kaum zufällig sein, wird 
dem Werkzeug doch die Ehre zuteil, das Kunstwerk mit dem 
Künstler als Homo faber zu identifizieren. 
Stengel ist nach deutschem Sprachgebrauch «jedes oberirdische 
Stammorgan der krautartigen oder strauchartigen Gewächse».* 
Solche Einschränkungen haben den Künstler nicht interessiert. 
Stengel ist für ihn alles, was nicht unten bleiben will, sondern 
aufragt, hochwächst, nach oben schiesst. Annemarie Monteil hat 
ihren Essay über den Künstler mit den Worten eröffnet: «Bei 
Bernhard Luginbühl ist alles gross.»“ Der Elegante Stengel 
misst zwar nur 1,64 Meter in der Höhe, aber es ist unschwer zu 
erkennen, dass er wie seine längeren Artgenossen Nike oder 
Pegasus höher hinaus will. E.T. 
Rüdlinger, Amold: Eitleitung. In: Eisenplastik. Ausst.-Kat. Kunsthalle Bern. 
1955, 0.5. 
Brockhaus Konversations-Lexikon. Leipzig, 1908, Bd. 15, S. 311. 
Monteil, Annemarie: Hamlet in tonnenschwerer Rüstung. In: Künstler. Kritisches 
Lexikon der Gegenwartskunst. München, 1991, Ausg. 16. 5.3. 
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