Hanni Roeckle (*1950)
Benthal, 1993
Pigment, Acryl, Kupferpulver und Bronzetinktur
59,9 X 101,6 cm
Bez. u. r.: Hanni Roeckle 93
LSK 94.15
Über die Thematik der Hochhäuser und Brücken in den Stadt-
landschaften als reale, äussere Räume gelangt Hanni Roeckle in
Ihrer malerischen Entwicklung zu den Baustellenbildern, die
sich ebenfalls noch an einer konkret vorhandenen Umgebung
und einem äusseren Bild von Bauplätzen, Überführungen und
ähnlichem orientieren. Von den Räumen hat sich die Künstlerin
nittlerweile weitgehend gelöst. Der Raum als erfahrbare Umge-
ung tritt spürbar in den Hintergrund zugunsten einer Form, die
zunehmend in Verselbständigung begriffen ist, jedoch noch auf
»inen bildhaften Ursprung verweist.
«Benthal» und «Pelagial» bezeichnen in der Meeresgeologie
zwei Schichten der Tiefsee als unterste, lichtlose Räume für
"Lebewesen. Benthal und Pelagial nennt Roeckle aber auch
seinen Zyklus von Arbeiten, die zwischen 1992 und 1994 entstan-
den sind. Im noch bildhaften Auftakt zu dieser mehrteiligen
Serie werden mit dem Einbringen des Elementes Wasser einer-
zeits und dem Vorhandensein eines Körpers als Form, die den
olossen Gegenstand übersteigt, andererseits bereits zwei Dinge
zugrunde gelegt, die sich kontinuierlich in allen späteren Arbei-
;en fortsetzen und wiederfinden lassen — so auch in der vorlie-
zenden Arbeit mit dem Titel Benthal von 1993.
Sarallel zu den grossformatigen Leinwänden entstehen als zwei-
ter Schwerpunkt des künstlerischen Schaffens die Arbeiten auf
Dapier, mit denen eine neue Entwicklung einhergeht. Die erdige,
schwere, oft auch krustige Farbigkeit von früher weicht einer
lebhaften Oberflächenstruktur, deren Wirkung in der lasieren-
den Übereinanderschichtung einzelner Farben — hier neben
Schwarz auch Grau, Blau und helles Ocker — erzielt wird. In den
Schichtungen konstituiert sich der Raum und durch das sukzes-
sive Auftragen der Farben zugleich auch die Dimension der Zeit.
Bezeichnet Hanni Roeckle den neuen Zyklus von Arbeiten mit
den Namen von geologischen Schichten, so geht es darin auch
um ein Freilegen und Sichtbarmachen von Überlagerungen,
um den Faktor der Zeit und — im Zusammenfluss — um den
fortwährenden Verwandlungsprozess, dem die Schichten unter-
worfen sind. Im Nebeneinander von scheinbar zufälligem
Verfliessen der Farbe in manchen Teilen und dem bewussten,
konstruierten Auftrag in anderen Teilen des Werkes erreicht die
Künstlerin ein Höchstmass an Spannung im Bild. Runde, orga-
nische Formen bilden das Gegengewicht zu den schwarzen Bal-
zen und dem sich daraus entwickelnden Raster, innerhalb dem
der Duktus des Pinsels sein Eigenleben entfaltet.
Das Urelement Wasser wird zum Grundthema in der Malerei
von Hanni Roeckle: spiegelglatt und ruhig einmal, aufgewühlt,
wirbelnd und tobend ein andermal. Auch hier verweist die
Künstlerin auf die Vielschichtigkeit und Komplexität, die den
Arbeiten auf verschiedenen Ebenen eigen sind und stets mehre-
re gültige Interpretationen zulassen, auch wenn die Tiefsee-
schicht Benthal eigentlich auf das Unbewusste im Menschen
verweisen soll.
«Die Malerei Hanni Roeckles nähert sich einer expressiven Ab-
straktion im weitesten Sinn des Wortes. Zweifellos bestehen in
der malerischen Sprache der Künstlerin Merkmale, die zumin-
lest auf Affinitäten ihrer Malweise zu dieser zeitgenössischen
Stilrichtung hinweisen. Hanni Roeckle möchte sich aber nicht
sekenntnishaft auf eine definierte Stilrichtung festlegen. Immer
wieder tauchen in den Bildern Erinnerungen an die gesehene
Natur auf. Wahrgenommene natürliche Farbklänge und Erschei-
nungsformen erleichtern den Zugang zu ihrer Malerei. Ihre
Sprache ist also zeitgemäss und aktuell.»' AG.
Georg Malin anlässlich der Eröffnung der Ausstellung von Hanni Roeckle in der
Liechtensteinischen Landesbank, Vaduz, am 19. November 1992
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