Volltext: Bestandeskatalog

Gotthard Graubner (*1930) 
Venezia, 1982 
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Öl und Acryl auf Zellstoff 
190 X 132 cm 
Bez. u. M.: Graubner, darunter auf Montageplatte: Venezia 
LSK 88.05 
An der Biennale von Venedig 1982 zeigt Gotthard Graubner ein 
fünfteiliges Ensemble seiner sogenannten Farbraumkörper, das 
er vor Ort malt und mit dem er seine Auffassung von Malerei 
erstmals auf eine grosse Fläche überträgt. Mit dem monumenta- 
len Format der von ihm entwickelten, sich in den Raum wölben- 
den Bildform wird er sich in der Folge im architektonischen 
Kontext mehrmals beschäftigen. Venezia entsteht im Jahr der 
Teilnahme an der Biennale. Der Titel scheint als Anspielung an 
die Lagunenstadt gesetzt; Spuren von bräunlichem veneziani- 
schem Rot lassen sich erkennen. Die Arbeit zeichnet sich im 
Vergleich zu vorangehenden Werken auf Papier auch durch ihre 
Grösse aus. Dies mag bestätigen, dass Graubners zahlreiche Pa- 
pierarbeiten die Entwicklung der Farbraumkörper begleiten und 
ergänzen: als «ungebundenere Varianten»' oder als «permanen- 
te und parallele Vergewisserungen» des dort mit komplexeren 
bildnerischen Mitteln umgesetzten malerischen Konzepts. Die- 
ses erhebt — in zeitgenössische Formulierungen konzeptueller 
Farbmalerei eingebettet — Farbe zum allein konstitutiven Ele- 
ment.? Malerei verweist hier auf sich selbst, macht ihre Mittel zu 
ihrem Thema: «Bilder als Malerei» und nicht «gemalte Bilder» 
heisst die Unterscheidung bei Graubner.‘ Sein Interesse gilt dem 
Eigenwert, den materiellen Eigenschaften, der Wirkungsvielfalt, 
der bildlichen Entfaltung der Farbe wie ihrem prozessualen 
Charakter: «Ich beobachte ihr Eigenleben, ich respektiere ihre 
Eigengesetzlichkeit.»° 
Diesen Prämissen folgen heisst, nicht mehr an die traditionelle 
Form des Tafelbildes gebunden zu sein. Mit der Gleichung 
«Farbe = Verdichtung zum Organismus = Malerei» gibt Graub- 
ner diesem Sachverhalt Ausdruck.° Anfang der siebziger Jahre 
verwirklicht er ihn in den Farbraumkörpern. Die Farbräume, 
Kissenbilder und Arbeiten wie Farbleib markieren seit den 
frühen sechziger Jahren die Stationen auf dem Weg zu den 
mächtigen «Bildobjekten», die meist aus einem grossen Holz- 
keilrahmen bestehen, über den sich zwei Schichten Leinwand 
mit dazwischenliegender, mehrschichtig mit Farbe imprägnier- 
ter Synthetikwatte wölben. 
Es ist nicht zuletzt die betont objekthafte Präsenz, die Venezia 
als «Äquivalent zur Struktur der <«Farbraumkörper»» erscheinen 
lässt.” Der äusserst saugfähige und voluminöse Träger Zellstoff 
verändert sich zunächst durch den Eingriff des Künstlers: 
Wie das Papier bestimmt dieser auch die Qualität der Farbe und 
lie Art des Auftrags. Ihrem Eigenleben überlassen, agiert die 
teils lasurdünne Öl- und Acrylfarbe weiter. Der Zellstoff kanali- 
siert ihre Bewegung; die Farbe wiederum bestimmt Dehnung 
der Schrumpfung. Die Pigmente setzen sich in den Falten ab. 
Versickernd verbindet sich die Farbflüssigkeit untrennbar mit 
dem Grund. Der randübergreifende gestische Auftrag der Farbe, 
'hre Materialität und ihr prozesshaftes Verhalten lassen eine 
mehrschichtige und nuancenreiche Binnenstruktur mit einer 
Vielzahl optischer Brennpunkte entstehen. Der zunächst flache 
Bildträger verwandelt sich zum farbdurchtränkten, narbig zer- 
Surchten. Relief. Innerhalb der Liechtensteinischen Staatlichen 
Kunstsammlung, die vor allem Arbeiten auf Papier und Skulptu- 
ten vereinigt, hat Venezia eine besondere Stellung. In seiner pla- 
stischen Präsenz verweist das Werk auf den Prozess der Expan- 
sion des Bildes in den Raum, auf die allmähliche Auflösung der 
gängigen Gattunmgsgrenzen und somit auf das «schwankende Er- 
scheinungsbild» der Kunst des 20. Jahrhunderts als einem ihrer 
wichtigsten Kennzeichen überhaupt.* M.S. 
_ Growe, Bernd: Rot, ins Unendliche bewegt... In: Gotthard Graubner. Rotdominan- 
ten. Ausst.-Kat. Galerie Tschudi, Glarus, 1988, o. S. 
Reuthner, Hanno: Über Gotthard Graubner. In: Kritisches Lexikon der Gegenwarts- 
kunst. München, 1991, 5. 7 
Auf die Auseinandersetzung mit den Bildkonzepten der amerikanischen Nachkriegs 
nalerei weist z.B. hin: Imdahl, Max: Farbraumkörper. In: Gotthard Graubner 
Ausst.-Kat. Baden-Baden, 1980, 5. 10. 
Wie Anm. 2, 5.3, 
Graubner, Gotthard: Reflexionen über die Malerei. In: Ausst.-Kat, Kestner-Gesell- 
schaft, Hannover, 1969, S. 11. 
Graubner, Gotthard zit. nach Reuthner, wie Anm. 2, S. 10. 
Wie Anm. 1. 
Boehm, Gottfried: Bilder jenseits der Bilder. Transformationen in der Kunst des 
20. Jahrhunderts. In: Transform. BildObjektSkulptur im 20. Jahrhundert. 
Ausst.-Kat. Kunstmuseum und Kunsthalle Basel, 1992, S. 15. 
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