Joseph Beuys (1921-1986)
Blitz und Bienenkönigin, 1980 aus der Folge Schwurhand, nach einem Entwurf von 1970
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Aquatinta und Lithographie
59,5 X 39,2 cm
76 X 56,5 cm
Bez. u. M.: 62/75 Joseph Beuys
Schellmann 363
LSK 81.07.20
Das Blatt Blitz und Bienenkönigin greift ein Thema auf, das im
Werk von Beuys fest verankert ist. Biene, Bienenkönigin, Honig
und Wachs sind Bausteine seines Denkens. «Der Wärmeorga-
nismus des Bienenstaats ist zweifellos das wesentlichste Ele-
ment, dass ich Wachs und Fett in Zusammenhang gebracht habe
nit den Bienen. Das, was mich an der Biene oder vielmehr an
ihrem Lebenssystem interessiert hat, ist die gesamte Wärmeor-
zanisation eines solchen Organismus, und innerhalb dieser Wär-
meorganisation gibt es eben plastische Ausformungen. Die Bie-
nen haben einerseits dieses Wärmeelement, das ist ein sehr stark
fliessendes Element, andererseits bilden sie Plastiken aus, die
kristallin sind [...]. Diese Bienenköniginnen haben alle etwas
sehr stark Organisches, In der Mitte ist eine Art Herzpunkt, und
von dem Herzpunkt bewegen sich Formen weg und kreisen ihn
wieder ein. Es ist eigentlich ein ganz organisches Gebilde, was
die Dinge, die das Christentum anspricht, Herz, Liebe oder
Selbstaufgabe, miteinbezieht [...]. In dieser Hinsicht sind die
«Bienenköniginnen» nichts anderes als bewegte Kreuze.»' Auf
der Zeichnung der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsamm-
lung ist die Bienenkönigin durch einen Frauenakt personifiziert,
der in den zuckenden und kreisenden Linien des Blitzes einge-
schlossen ist. Der Blitz als elementares Naturereignis ist zu-
gleich auch wärmeerzeugend. Die Zeichnung enthält also kon-
zentriert Grundformen der Beuysschen Gedankenwelt.
Beuys hat vielen seiner Zeichnungen Titel gegeben. Sie meinen
immer genau das, was dargestellt ist. «Er assoziiert nicht, son-
dern benennt das Dargestellte, fixiert somit das bildnerisch be-
reits Gedachte nachträglich mit der Sprache.»? Dass Beuys die
Bienenkönigin hier als Frau darstellt, weist auf weitere mythi-
sche Zusammenhänge. Als Frau, die Leben spendet, steht sie der
Sonne wie der Biene nahe.
Auf die Ikonographie der Biene ist Beuys durch Rudolf Steiner
aufmerksam geworden. In einem 1923 von Steiner gehaltenen
Vortrag «Über die Biene», der später publiziert wurde, hat der
Künstler die entscheidende Erkenntnis über den evolutionären
plastischen Prozess bei der Verwendung von Wachs bekommen.?
«Die Biene», schreibt Laura Arici, «formt aus der amorphen
Masse [des Wachses] bergkristallförmige Waben. Als Hohlkör-
ser eignet sich die Wabe zur Aufnahme von Gedanken. Die auf-
zenommenen Gedanken können jedoch wieder verflüssigt und
aus-dem Hohlkörper geleert werden. Das Denken bleibt im
Fluss, braucht nicht zu erstarren, sondern gebärt sich selbst wie-
der.,»* Die Bienenkönigin drückt zentrale Gedanken von Beuys
aus, die in Zeichnungen, aber auch in plastischen Werken — wie
etwa einem seiner Hauptwerke, der Installation Honigpumpe -
integriert sind. —— E.B
Zit. nach Adriani, Götz; Konnertz, Winfried; Thomas, Karin: Joseph Beuys.
_eben und Werk. Köln, 1981, S. 53.
Arici, Laura: The secret block for a secret person in Ireland. In: Joseph Beuys.
Ausst.-Kat, Kunsthaus Zürich, 1993, S. 202.
Wie Anm. 1, 5. 46.
Wie Anm. 2, S. 202.
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