Volltext: Bestandeskatalog

Antoni Täpıies (*1923) 
Disque gris perce, 1981 
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Acryl 
56 X 76 cm 
LSK 82.51 
Einfache Formen muten archaisch an und haben die Aura des 
Bedeutenden. Auf dem Blatt der Liechtensteinischen Staatli- 
chen Kunstsammlung ist ein Kreis die bestimmende Form. Er 
scheint das Motiv zu sein. Aber wie falsch ist es, bei Täpies von 
Motiv zu reden! Der Kreis ist nicht Motiv, er ist die Form und 
lie Farbe, ist autonom. Täpies konnte sich nicht besser darstel- 
len als mit dieser elementaren geometrischen Form, die sich 
selbst genügt, zugleich aber im Betrachter die Assoziation von 
Kosmos und Vollendung evoziert. Wenn man von Täpies’ Kunst 
sagt, sie habe meditativen Charakter, dann trifft eine solche Fest- 
stellung sicherlich auf das vorliegende Blatt zu. Das Kunstwerk 
als «einfache Meditationshilfe», wie der Künstler seine Arbeit 
verstanden wissen wollte,‘ bietet sich mit der in sich ruhenden 
Kreisform wie selbstverständlich an. Täpies hilft dieser kontem- 
plativen Wirkung durch weitere Details nach: Semantische Zei- 
chen sind auf der linken Seite angedeutet. Nicht entzifferbar, 
vermitteln sie den Eindruck asiatischer Schriftzeichen, mögen 
aber im Zusammenhang mit dem Kreis auch als magische Be- 
schwörungsformeln wahrgenommen werden. Das Umfeld des 
Kreises ist mit leichten Pinselstrichen über einer Weisshöhung 
bezeichnet. In diesem formlosen Hintergrund schwebt die 
Kreisform als Ort der Ordnung, als Element des Geformten in 
szinem amorphen Raum. Das Gesetz von Ordnung und Chaos, 
von der Form in Spannung zum Formlosen, das die Kunst des 
Malers bestimmt, ist auch hier erfüllt. Ein weiteres Element, 
diese Spannung zu artikulieren, findet sich in den waagerechten, 
reliefartigen Linien, die der Kreisfläche eingeschrieben sind. 
Sie skandieren die innere Fläche des Kreises und treten den 
spontan gesetzten Pinselstrichen als Ordnungsprinzip entgegen. 
Sie setzen der Komposition aber auch eine neue Struktur hinzu, 
die sich von der malerischen Atmosphäre der Bildfläche in 
ihrem linearen Charakter als Gegenform absetzt. Aber letztlich 
ist der Kreis keine Kreisdarstellung, die Linie keine Linie. Denn 
alle Form erwächst aus der Materie der Farbe. Alles ist Form in 
sich selbst im Gegensatz zur Form, die Bedeutung und abbild- 
haften Charakter hat. «Möglicherweise hat kein Künstler der 
Moderne diesen Prozess der Verschmelzung der Materie, der 
gleichzeitig die Verschmelzung mit der Materie selbst ist, bis zu 
liesem Extrem geführt.»? Wiederum unterstützt die dunkle Tö- 
nung in samtenem Mausgrau die emotionale Ausstrahlung, die 
von dieser Komposition ausgeht, 
Bei Täpies wird man immer vergeblich nach der Euphorie der 
Farben suchen. Das dunkle Timbre seiner Malerei ist die sicht- 
’are Aura seiner Formen. Eines erklärt sich durch das andere, 
und alles wächst zu einer untrennbaren Einheit zusammen. 
Die. Verweigerung der Farbe siedelt die Werke in der Nähe des 
Mystischen an. Mystik bedeutet Geheimnis, etwas Verschlosse- 
aes, das sich hinter der Wirklichkeit verbirgt, ist aber auch Dun- 
kelheit.* Trotzdem wirkt im Werk Täpies’ — das vorliegende Blatt 
zingeschlossen — nichts Sakrales. Aber wie bei Joan Miro, 
seinem Landsmann, oder bei Paul Klee, dem Verwandten im 
Geiste, schleicht sich das Sakrale über die Magie der Zeichen in 
die Bildwerke ein.“ E.B. 
Valente, Jose Angel: Fünf Fragmente für Antoni Täpies. In: Antoni Täpies. Ausst.- 
Kat, Schirn Kunsthalle Frankfurt, 1993, S. 144. 
Ebd., S. 142. 
Catoir, Barbara:.Gespräche mit Antoni Täpies. München, 1987, S. 73. 
Ebd... 5.99 
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