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Emilio Vedova (*1919)
Skies of Venice XXVII, 1961
Gouache
29,3 X 20 cm
Bez. u. l. (Pinsel in Rot): V. 61,
Verso: «SKIES OF VENICE XXVII» Gouache 1961
114” X 7%" Emilio Vedova
LSK 92.02
Innerhalb des Abstrakten Expressionismus vertritt der Venezia-
ner Emilio Vedova das mediterrane Temperament. Er ist einer
der wenigen italienischen Maler des Action Painting und weiss
eine bedeutende malerische Tradition hinter sich. Wer aus Vene-
dig stammt, hat eine andere Kultur als ein Maler im Norden oder
in den USA. Tintoretto und Tiepolo sind für Vedova Gegenwart
und haben ihn in der Suche nach der Farbe als expressivem Ele-
ment eines Bildes inspiriert. Und obwohl er in der dynamischen
Malschrift den nordischen Malern seiner Generation — Wols,
Asger Jorn, Karel Appels —, aber auch Philip Guston und Willem
de Kooning in den USA in nichts nachsteht, ist das mediterrane
Element, die Italianità, eben doch in seiner expressiven Malerei
vorherrschend. Seine Farben berufen sich auf Harmonie in der
malerischen Komponente eines Bildes. Das Blatt der Liechten-
steinischen Staatlichen Kunstsammlung etwa ist ein Wogen in
Grautónen, die in Beziehung gesetzt sind zu schwarzen, durch-
scheinenden Flecken und weissen Hóhungen. «Himmel» nennt
Vedova das Blatt. Aber in Venedig kann der Himmel auch das
Meer bedeuten, hier kónnen beide zusammenfallen. In Vedovas
Gouache jedenfalls tun sie es. Malen bedeutet für Vedova Dia-
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log, nicht nur mit der Leinwand oder dem Papier, sondern auch
mit sich selbst. Seine Stimmungen, Leidenschaften, Unruhen,
Ängste, seine Aggressionen und seine Momente der Ruhe teilen
sich mit im Pinselstrich, im Schwung der Hand. In diesem Sinne
ist jedes Werk eine existentielle Aussage.
Aber er sucht über das persönliche Befinden hinauszugehen und
allgemeingültige Aussagen über Mensch und Zeit zu formulie-
ren. Nicht in literarischen Inhalten, sondern durch den Gestus
des Malens nimmt er Stellung zu Situationen unserer Zeit. Titel
von Bildern drücken diese Auseinandersetzung mit Mensch und
Welt aus: Protest, Zusammenprall ‘von Situationen, Bild der
Zeit. Diese engagierte Anteilnahme setzt in den fünfziger Jahren
bei ihm ein. «Ich fühle, wie das Eis bricht», hatte er 1950 in sein
Tagebuch notiert,‘ und später heisst es: «Im Bewusstsein leben
heisst in Spannung leben, um Splitter, Augenblicke der Wahrheit
zu berühren.» So muss jede seiner Arbeiten als Kraftfeld
menschlicher Spannungen angesehen werden. Es ging um «das
Sein des Menschen, um seinen Herzschlag und seine innerste
Ergriffenheit»? Emilio Vedova hat sich im Malgestus diesem
Auftrag verpflichtet gefühlt. Sein dramatischer, dynamischer
Bildraum wird zur Metapher eines Lebensgefühls, das den mo-
dernen Menschen kennzeichnet. Die Maler des Abstrakten Ex-
pressionismus haben dieses Lebensgefühl in der Heftigkeit ihres
Pinselstrichs zum ersten Mal optisch erfahrbar gemacht. —E.B.
' Vedova, Emilio: Blátter aus dem Tagebuch. München, 1960, S. 60.
2 Ebd., S. 76.
* Ebd., S. 77.