Le Corbusier (1887-1965)
Trois femmes, 1932
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Feder in Tusche und Farbkreide
21 X 31 cm
Bez. u. r.: Le Corbusier 1932
LSK 87.06
Der Architekt Le Corbusier hat sein Leben sorgfältig eingeteilt
mit dem Maler Le Corbusier. Der Zeichner war zwischen beiden
Kunstbereichen angesiedelt. Zeichnen war eine ihn ständig be-
gleitende Tätigkeit.' Seine beinahe unbewusste, ständig präsen-
te Auseinandersetzung mit der Zeichnung hat ein grosses gra-
phisches Werk entstehen lassen. Die etwa tausend Zeichnungen,
die im Atelier von Le Corbusier nach seinem Tod gefunden wur-
den, scheinen uns heute wie der Humus, aus dem Architektur,
Malerei und Plastik erwachsen sind. Die Zeichnungen bildeten
das Instrumentarium, aus dem die architektonischen und bildne-
rischen Werke hervorgingen, obwohl sie in keinem direkten Zu-
sammenhang mit ihnen stehen. Abgesehen von der puristischen
Phase, wo Malerei und Zeichnung sich decken, sind die Zeich-
nungen, die nach 1930 entstehen, keine Vorzeichnungen zu
Gemälden, sondern beschreiben Le Corbusiers Freude am Le-
bendigen, Spontanen. Durch schnelles Skizzieren ergreift er Be-
sitz von der Fülle der Formenwelt, welche die Natur ihm liefert.
im Zentrum des zeichnerischen (Euvres steht die weibliche
Figur.” Das Blatt der Liechtensteinischen Staatlichen Kunst-
sammlung ist charakteristisch für diese Hommage an das pralle
Leben. Die Zeichnungen leben von Körperlichkeit und Bewe-
gung. Die Frauen tanzen, wie auf dem vorliegenden Blatt, sie
kämpfen, baden, lieben sich. drehen sich. Immer sind sie in Ak-
tion. Für Le Corbusier besteht ein ungeschriebenes Gesetz, wo-
nach sich der Architekt an eben jenem Wesen orientiert, für das
er seine Architekturen entwirft: am Menschen. Er skizziert in
schnellem Strich die Umrisse. Niemals ist die Linie durchgezo-
gen, niemals wirklich umschliessend. Hektisch scheint er sie ge-
zogen zu haben, voller Angst, nicht schnell genug zu sein, die
Bewegung zu fixieren. Es gelingt ihm, in den silhouettierenden
Linien Volumen zu umschliessen, so dass die Blätter vor Kör-
perlichkeit strotzen.
Der Realitätscharakter spielt dabei keine Rolle. Die Bewegung
evoziert die spontane Anordnung der Glieder. Sie sind ausge-
äichtet auf die Dynamik des Ausdrucks, nicht auf den Realitäts-
charakter des Abbildes. Le Corbusier verwirklicht durch diesen
Kunstgriff ein besonderes Anliegen innerhalb seiner künstleri-
schen Intention: die Integration und Sichtbarmachung von Poe-
sie. «Ma recherche a toujours ete dirigee vers cette valeur essen-
tielle de la vie: la poesie. La poesie est dans le cceur de 1l’homme.
C’est elle qui lui permet de penetrer ä l’interieur des richesses de
la nature. Je suis un homme visuel, c’est ä dire un homme tra-
vaillant des yeux, de ses mains, anime d’un amour des formes,
des manifestations plastiques.»* EB.
«Chaque journee de ma vie a Ete vouge en partie au dessin. Je n’ai Jamais cesse de
dessiner et de peindre cherchant oü je pouvais les trouver, les secrets de la forme. Il
ne faut pas chercher Tatief.de mes travaux et de mes recherches.» In: Le Corbusier
Suite de dessins. 1968, o. S.
«Auf meinen Zeichnungen und Gemälden habe ich immer nur Frauen, oder aber
Bilder, Symbole und Geologien von Frauen dargestellt.» In: Le Corbusier. Maler
Zeichner, Plastiker, Poet. Sammlung Heidi Weber. Zürich, 1988, 0.5.
Zit. nach Billeter, Erika: Le Corbusier secret. Kat. Muse cantonal des Beaux-Arts.
Fausanne. 1987. S. 18.
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