Henri Laurens (1885-1954)
Femme assise dä la jambe levee, um 1950
A
WW.
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rarblithographie
44 X 23,5 cm
56,6 X 38 cm
3Zez. u. 1.: H. Laurens, u. r.: 10/200
Völker 31
_SK 88.02
Die Druckgraphik begleitet das plastische Schaffen Henri Lau-
‘ens’ von den Anfängen 1915 bis zu seinem Tod. Sie war ihm ein
wichtiges Element zur Erweiterung seiner künstlerischen Prin-
zipien. Er sah in ihr ein Instrument schneller Fixierung von Ge-
danken, die sich in der langsam entstehenden Skulptur niemals
spontan festhalten lassen. In seinen graphischen Blättern öffnet
ar sich der Welt, während seine Skulpturen in sich geschlossen
zind, schweigen — wie Pierre Reverdy bereits 1946 schrieb.
Trotzdem sind Skulptur und Graphik aus der gleichen künstleri-
schen Auffassung erwachsen. Seine graphischen Blätter sind
»benso wie seine Zeichnungen Äusserungen eines Bildhauers
ınd umkreisen im wesentlichen ein Thema: die weibliche Ge-
stalt. Abgesehen von den kubistischen Anfängen, in denen er die
Zerlegung der Formen am menschlichen Körper studierte, ist
sein Werk bestimmt von der grossen Einzelfigur, die sich im
liessenden Verlauf des Konturs ausdrückt und sowohl sein pla-
stisches wie zeichnerisch-graphisches Werk thematisch be-
1errscht. Rhythmische Bewegungsabläufe setzen die Figur in
Schwingung und unterstreichen die Expressivität der Gebärden.
Jas Blatt der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung
gehört zu einem Komplex von acht farbigen Lithographien, die
um 1950 entstanden und eine Art Sonderleistung in seinem Werk
darstellen. In dieser Zeit war für Laurens die Graphik zu einem
zentralen Anliegen innerhalb seiner bildnerischen Tätigkeit ge-
worden. 1945 hatte er 38 Holzschnitte zu Theokrits Les idylles
geschaffen und.damit einen neuen Anfang für das illustrative
Buch eingeleitet. Er beherrschte die graphischen Techniken
meisterhaft; bevorzugt arbeitete er mit Radierung und Holz-
schnitt. Die Lithographie hat er in der Tat nur ein einziges Mal
benutzt — und zwar im Zyklus der weiblichen Figuren, zu dem
lieses Blatt gehört. Vielleicht ist Laurens niemals vorher und
zuch nicht später seinem plastischen Werk so nahe gewesen wie
in dieser Reihe weiblicher Gestalten. Sie geben möglicherweise
den Skulpturen der letzten Jahre neue Impulse hinsichtlich der
Reduktion der Formen und des Flusses der Konturen. Jede der
“iguren ist in ruhender Position gezeigt: liegend, hockend,
sitzend oder in einer bestimmten Bewegung verharrend. Die
Gestalt auf dem vorliegenden Blatt beispielsweise schlägt die
3eine übereinander und hebt die rechte Hand zum Kopf — ein
bildhauerisches Thema ist in Graphik übersetzt! Collageartige
Effekte erzielt Laurens durch die Überschneidung von Schraffu-
ren, die sich dunkel über die ockerfarbene Fläche des Körpers
legen. Es entsteht ein Netz von formalen Beziehungen und gra-
»hisch-malerischen Elementen. In einer Reihe von Aquarellen
aus der gleichen Zeit erprobt er diese Verzahnung von Malerei
und Zeichnung, wobei die Struktur durch den Bleistift einge-
zeichnet wird. Die Geschlossenheit des Werkes, die Werner
Tofmann im uvre von Laurens als Charakteristikum hervor-
nebt, kommt in dieser Serie geradezu beispielhaft zur Geltung.‘
Die Grenzen zwischen den Gattungen werden durchlässig
Skulpturen und Graphik atmen denselben Geist. E.B
Reverdy, Pierre: Henri Laurens le sculpteur silencieux. In: Völker, Brigitte:
Adenri Laurens, Das druckgraphische Werk 1915-54, Ausst.-Kat, Kunsthalle
Düsseldorf, 1976.
Hofmann, Werner: Henri Laurens. Stuttgart, 1970, 5. 8.
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