Pablo Picasso (1881-1973)
Femme assise et dormeuse. 11.5.1947
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Zinklithographie
49 X 60 cm
Bez. u. 1.: epreuve d’artiste, u. r.: Picasso,
im Druck (spiegelverkehrt): Dimanche 11. 5.47
Bloch I455; Mourlot II 104; Rau 214
LSK 93.07
Mit der Lithographie Femme assise et dormeuse variiert Picasso
das Paar, eines seiner wichtigsten Motive, in Form einer schla-
fenden und einer beobachtenden Figur zu einer grossartigen in-
haltlichen wie formalen Konkretisierung. Das Thema des Paares
trägt Picasso während seiner gesamten Schaffensdauer in zahl-
losen Ausgestaltungen vor: Liebespaare, Kämpferpaare, Mann
and Frau, Stier und Pferd, Bacchantin und Kentaur, Maler und
Modell, Bildhauer und Modell oder — wie im vorliegenden Blatt
— Wachende und Schlafende.
Unerschöpflich scheinen ihm die Seelenzustände zu sein, die er
anhand dieses Themas zur Sprache bringen kann. Innerhalb die-
ser Motivwelt reflektiert er psychologische Aspekte und charak-
terliche Dualitäten beim Zusammentreffen von Menschen
etwa Alter und Jugend, Gewalt und Unterwerfung, Macht und
Fürsorge, den Antagonismus der beiden Geschlechter, das eroti-
sche Verlangen in allen Facetten. Die Herausforderung dieses
Themas spielt er in den Skizzenbüchern in zahlreichen Ausfor-
mungen genauso durch wie in vielen grossformatigen Zeich-
aungen. Es verwundert keineswegs, dass Picasso dieses Thema
in sein lithographisches Schaffen aufnimmt. Die Lithographie
mit ihren Zustandsdrucken und den damit verbundenen Mög-
lichkeiten für Veränderungen und Neugestaltungen kam Picas-
sos neuer Arbeitsweise nach 1945 entgegen. Für sein spätes
Werk wird das Arbeiten in Serien und Variationen besonders
wichtig. Jede nun geschaffene Zeichnung wurde zur Antwort
auf die vorangegangene. Auch Femme assise et dormeuse be-
zieht sich auf eine solche Serie von insgesamt fünf Lithographien
mit jeweils einer liegenden und einer wachenden Figur. Die bei-
den ersten entstanden am 23. März 1947 und die drei anderen
am 11. Mai des gleichen Jahres (Mourlot 101, 102, 104, 132, 133).
Das Blatt der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung,
2ine «Epreuve d’artiste», muss aufgrund der Anordnung der Fi-
guren mit den ersten beiden Blättern in Verbindung gebracht
werden. Dort plazierte Picasso in vergleichbarer Komposition
ebenfalls eine Sitzende auf der linken Seite des Blattes. Mit aus-
serordentlicher Subtilität multipliziert Picasso die Polarität des
Themas auch in stilistischer und technischer Hinsicht. Während
er die sitzende Figur mit einem lavierenden Tuschpinsel model-
liert, zeichnet er die liegende Frau im Kontrast dazu mit einer
zrossartigen Strichätzung. Durch die beiden unterschiedlich
zingefärbten Druckplatten gelingt es dem Künstler, auch farb-
lich — in Form wunderbarer Grauwerte — malerische Nuancen
aerauszuholen. Auf-diese Weise ringt er mit Hilfe eines uner-
schöpflich scheinenden technischen Repertoirs dem Motiv das
Äusserste an Aussagekraft ab. S.A.
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