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Pablo Picasso (1881-1973)
Peintre et modèle tricotant, 1927/31, Blatt 4 aus der Mappe Le chef-d'œuvre inconnu d’Honoré de Balzac
Radierung
19,4 X 28 cm
ca. 38,5 x 50,5 cm
Bez. u. l.: (Bister) 30/99, u. r.: Picasso
Bloch I 85; Geiser I 126/b
LSK 93.06.04
Für den Verleger Ambroise Vollard schuf Picasso in den Jahren
1927 bis 1931 insgesamt dreizehn Radierungen. Sie waren als
Buchillustrationen vorgesehen für eine Neuausgabe zum 100-
Jahr-Jubiläum von Honoré de Balzacs Roman Le chef-d'œuvre
inconnu von 1831. Neben der Buchausgabe edierte Vollard die
dreizehn Radierungen damals auch in einer Mappe, versehen
mit einer Titelvignette, die Georges Aubert nach einer Zeich-
nung von Picasso in Holz geschnitten hatte. Das hier abgebilde-
te Blatt Peintre et modèle tricotant steht stellvertretend für die
gesamte Suite aus dem Besitz der Liechtensteinischen Staatli-
chen Kunstsammlung; wie die zwôlf übrigen Blätter wurde es
von Picasso mit Bister numeriert und signiert.
Die Mappe bildet stilistisch einen Höhepunkt innerhalb Picas-
sos neoklassizistischer Graphik. Dieser Stil verdrängte seit
1917 mit realistischen und naturalistischen Darstellungsformen
die kubistische Ausdrucksweise innerhalb seiner Graphik und
besticht durch einen kühnen, ungemein sicheren Linien- oder
Umrissstil. Kurvige, organische Formen kennzeichnen fortan
diese subtilen, klassische Reinheit adaptierenden Radierungen
und Aquatinten. Als Vollard die Radierungen bei Picasso in Auf-
trag gab, geschah dies möglicherweise, weil sich der Kunst-
händler der Affinitäten bewusst war, die Picasso mit Balzacs
Helden, dem begabten deutschen Maler Frenhofer, verbanden.
Die Geschichte, angesiedelt im Paris des 17. Jahrhunderts, schil-
dert den Besuch der beiden Maler Poussin und Pourbus bei
ihrem Kollegen Frenhofer. Dieser arbeitet seit zehn Jahren am
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Porträt der Catherine Lescant. Zwar erzählt er immer wieder sei-
nen Freunden von dieser wichtigen, alles erneuernden Arbeit,
von den konzeptionellen und technischen Schwierigkeiten, aber
das Werk zeigt er letztlich niemandem. Als er es schliesslich in
einem Zustand phrenetischer Ekstase tut, sehen seine Freunde
nur ein enttäuschendes Chaos von Linien und Farben.
Es gibt durchaus Anzeichen, dass sich Picasso mit Frenhofers
Problematik identifizierte. Die Besessenheit des Künstlers als
Genie mit seinen Idealvorstellungen von absoluter Kunst faszi-
nierte ihn. Die Episode mit Frenhofer deckt die Tragödie eines
Künstlers auf, dem es zwar möglich ist, Höhepunkte von Schön-
heit quasi virtuos zu erschaffen. Dennoch verbleibt das Erreich-
te innerhalb der Vorgaben der Vorläufer. Künstler, die eine sol-
che Situation klar erkennen, spüren ihren Kampf, das Errungene
zu verbessern, oftmals angetrieben von einem unstillbaren Ver-
langen, eine gänzlich individuelle, formale Ausdrucksweise zu
finden, um letztlich ein neues, geniales Universum an Formu-
liermöglichkeiten zu eröffnen und auszuforschen. Es ist diese
verkrampfte Spannung, die Picasso in Peintre et modele trico-
tant darstellt. Beide Figuren erscheinen schon gealtert nach den
langen Jahren der Suche, das strickende Modell ist in eine resi-
gnative Langeweile versunken. Die beiden Personen, gezeichnet
in einem einfachen Linienstil mit wenigen Schraffuren, umrah-
men ein turbulentes Gemälde mit verwegenen und verworrenen
Linien. Picassos Angst vor Frenhofers Schicksal blieb aber
unbegründet. Während bei Balzac der Maler im Misserfolg ver-
sinkt, gelingt es Picasso mit seinen berühmten Stilmetamorpho-
sen zwischen Tradition und Innovation immer wieder, neue
Formensprachen zu finden. War es daher eine Koinzidenz oder
die Faszination des Ortes? Zehn Jahre nach dem Entstehen
dieser Blätter verlegte Picasso sein Atelier an die Rue des
Grands Augustins, genau dorthin, wo sich Balzac das Atelier
Frenhofers vorgestellt hatte. S.A.