Pablo Picasso (1881-1973)
Le bain, 1905
Kaltnadel
34,4 X 28,9 cm
57,5 X 45,7 cm
Bez. 0. r. in der Platte: Picasso 1905
Bloch I 12; Geiser/Baer I 14/b/2
LSK 80.01
In den Jahren 1904/1905 wird Picasso erstmals druckgraphisch
tätig. Er steht gleichzeitig auf dem Höhe- wie am Endpunkt
seines ersten geschlossenen Malstils, der Blauen Periode. Ein
Freund, Ricard Canals, drängt ihn immer wieder, das Medium
der Druckgraphik auszuprobieren, und übergibt ihm als An-
sporn einen Stapel gebrauchter Kupferplatten. Daraufhin schafft
Picasso vom September 1904 bis hinein in den Herbst 1905 ins-
gesamt 17 Radierungen und Kaltnadelarbeiten. Bereits die erste
dieser graphischen Arbeiten, Le repas frugal (Geiser/Baer 1/2),
wird zum Meisterwerk. Ist die Radierung durch die stilisierte
Haltung der gelängten Figuren, den apathisch passiven Gestus
und die Verschmelzung der Körper noch als Zeugnis der Blauen
Periode gekennzeichnet, so entstehen zu Beginn des Jahres 1905
in Zeichnungen und Graphiken jene schwebend-leichten, im
Umrissstil gestalteten Körper, die so typisch werden für die
Rosa Periode. Thematisch kreisen sie um die private Welt der
Zirkusleute, Akrobaten, Tänzer, Harlekine, Jongleure und Seil:
tänzer. Picasso lebt während der ersten Pariser Jahre im zugigen
und feuchten Atelierhaus auf dem Montmartre, dem Max Jacob
später den Namen Bateau-Lavoir (Waschhaus) geben wird.
Ganz in der Nähe hat der Zirkus Medrano seinen Standort.
Picasso lässt sich durch das Milieu der Artisten faszinieren und
erkennt in deren Lebens- und Arbeitswelt Züge, die der seinen
wesensverwandt sind.
Die vorliegende Arbeit Le bain ist Teil der wenigen graphischen
Kunstwerke aus der Rosa Periode. Eine Mutter wäscht kniend
ihren kleinen Sohn; die intime Szene wird aufmerksam vom an-
gelehnt stehenden Vater beobachtet. Die Trommel an seiner
Seite und der Zweispitz auf dem Kopf kennzeichnen ihn als Mit-
glied einer Artistentruppe. Das sich anschmiegende Kätzchen
unterstreicht zusätzlich den passiven, beobachtenden Gestus des
Vaters; es stösst ihn gleichsam hinein in die zärtliche Situation.
Die Kaltnadelarbeit Le bain steht im Zusammenhang mit einer
grösseren Anzahl von Mutter-Kind-Darstellungen und den Va-
riationen zum Thema La famille des saltimbanques (Familie
der Harlekine). Beide Motivgruppen sind untrennbar mit dem
Themenkreis der Mutterschaft verbunden, der zu Beginn der
Rosa Periode einen grossen Raum einnimmt.'
Picasso zieht von den 17 Platten jeweils nur sehr wenige Exem-
plare auf Papier ab. 1913 kauft der Kunsthändler Ambroise
Vollard Picasso die kupfernen Druckstöcke für bescheidene
2000 Francs ab. Er lässt die inzwischen acht bis neun Jahre alten
und folglich oxydierten Platten reinigen, verstählen und ediert
schliesslich 15 davon unter dem schnell populär werdenden
Namen Suite des saltimbanques (Folge der Harlekine). Das vor-
liegende Blatt Le bain ist eines aus dieser Auflage. S.A.
Zervos, Christian: Pablo Picasso. In: Cahiers d’art, vol. 6 (1954), no 696; ders.:
Pablo Picasso. In: Cahiers d’art, vol. 22 (1970), no 154.