Volltext: Bestandeskatalog

Johannes Itten (1888-1967) 
Komposition in Gelb, 1961 
Tempera 
23,2 X 25,7 cm 
Bez. u. r.: Itten 61 
verso: s. S. 334 
LSK 93.14 
Im Vorkurs am Bauhaus hatte Johannes Itten seinen Schülern 
die Aufgabe gestellt, nicht die gegenständlichen Formen eines 
Bildthemas wiederzugeben, sondern es vereinfachend nur durch 
die Tonwerte zu visualisieren. Dieser Aufgabe hat er sich selbst 
immer wieder in seinem Werk unterzogen. Die abstrakte Kom- 
position und die systematische Ordnung von Flächen sollen aber 
nicht darüber hinwegtäuschen, dass Itten nie Konstruktivist ge- 
wesen ist, sondern sich vom Natureindruck inspirieren liess, um 
die Stimmung eines Erscheinungsbildes wiederzugeben.‘ Das 
vorliegende Blatt in sonnigen Gelbtönen, die von Rosa, hellem 
Grau und sanftem Taubenblau begleitet werden, wird vom 
Künstler zwar Komposition in Gelb genannt, doch darf man 
davon ausgehen, dass er einem Natureindruck Gestalt geben 
wollte und dieses Ziel seiner Einstellung gemäss durch die sen: 
sible Anordnung von Farben in geometrisierenden Formen löst. 
«Sinn und Aufgabe aller künstlerischen Bemühungen ist das 
Freimachen des geistigen Wesens der Form und der Farbe und 
das Loslösen aus dem Gefangensein in der Objektwelt», 
schreibt er 1961,? im Entstehungsjahr dieser Arbeit. Aus dieser 
Äusserung des alternden Künstlers spricht noch immer ganz der 
Schüler von Adolf Hölzel, der für den jungen Itten die zentrale 
Figur innerhalb seiner künstlerischen Ausbildung gewesen ist. 
Hölzel war es, der von den geistigen Möglichkeiten sprach, wel- 
che Linien, Formen, Abtönungen und Farben dem Maler als In- 
strument in die Hand geben.* Immer hat Itten sich mit der Natur 
beschäftigt, seinen Dialog mit ihr nicht als Abbild der Natur ver- 
standen, sondern als Deutung. In seiner Publikation Kunst der 
Farbe von 1944 hat Itten die vier Jahreszeiten als ein vollkom- 
menes Beispiel für Farbempfindungen beschrieben. Auch das 
Blatt der Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung kann 
in diesem Zusammenhang gesehen werden. 1963 hat Itten den 
Zyklus der vier Jahreszeiten gemalt, in dem er sich mit abstrakt- 
geometrischen Flächenordnungen in Farbtönungen den ver- 
schiedenen Stimmungen der Natur annähert. Wenn das Blatt von 
Gelbtönen dominiert wird, so lässt sich leicht «Frühling» asso- 
ziieren. Die zarten Tönungen von Grau und Rosa lassen an den 
frühen Morgen eines beginnenden Sonnentages denken. Itten 
selbst verweist auf eine solche Interpretation: «Das Jugendlich 
helle, strahlende Werden der Natur im Frühling wird durch licht- 
volle Farben zum Ausdruck gebracht, Gelb ist die dem weissen 
Licht am nächsten stehende Farbe, und Gelbgrün ist die Steige- 
rung des Gelb. Hellrosa und hellblaue Töne verstärken und er- 
weitern den Klang.»* 
So darf an Frühling und das Erwachen der Natur gedacht wer- 
den, wenn man die vorliegende abstrakte Komposition betrach- 
tet. Für Itten war Landschaft nie eine topographische Erschei- 
nung, sondern eine erfahrbare Stimmung, die sich durch Licht 
und Schatten suggestiv mitteilt. «Natur stellt sich dar im Modus 
der Jahreszeiten. In ihnen bekundet sich das Leben der Natur, 
ihr Anders-Sein im Sich-selbst-Gleichen. In den Jahreszeiten 
gewinnt die Natur ihren metaphysischen Aspekt, den Sinn, der 
über das Sein hinausweist», schreibt Hans Heinz Holz. In der 
Auseinandersetzung mit der Natur im Wechsel der Jahreszeiten, 
die Johannes Itten immer beschäftigt hat, tastet sich der Künst- 
ler an die elementaren Probleme des menschlichen Seins heran. 
Die Jahreszeiten werden zugleich Metapher für Werden und Ver: 
gehen, für Leben und Tod. E.B. 
Roters, Eberhard: Die Maler am Bauhaus. Berlin, 1965. Zit. nach: Johannes Itten. 
Die vier Jahreszeiten. Ausst.-Kat. Nürnberg, 1972, 0. S 
Ebd. 
Badura-Triska, Eva: Kommentar zu: Johannes Itten. Tagebücher 1913-1916 
(Stuttgart), 1916-1919 (Wien). Wien, 1990, S. 21. 
Wie Anm. 1., 0. 5. 
Holz. Hans Heinz: Natur im Kunstwerk. In: Ausst.-Kat., wie Anm. 1, o. 5.
	        

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