Adolf Hölzel (1853-1934)
Ohne Titel, um 1925/30
Bleistift und Pastell
14,4 X 11,7 cm
Bez. u. 1! A. HOELZEL, verso: Nachlassstempel
LSK 88.11
Adolf Hölzel spielte sowohl als schöpferischer Künstler wie als
Lehrer und Theoretiker eine bedeutende Rolle für die Entwick-
jung der abstrakten Malerei in Deutschland. Seine Lehrmethode,
von seinem Schüler Johannes Itten am Bauhaus weiterent-
wickelt, hat den Unterricht an den fortschrittlichen Kunstschu-
len in aller Welt massgeblich bestimmt. Hölzel befreite seine
Schüler, unter ihnen so bekannte wie Oskar Schlemmer, Willy
Baumeister, Otto Meyer-Amden, von der einengenden themen-
und gattungsorientierten Kunstauffassung. Nach seinem Rück-
tritt als Lehrer an der Stuttgarter Akademie im März 1919 blie-
ben dem Künstler noch 15 Jahre regen Schaffens. In dieser Zeit
entstanden neben wichtigen Aufträgen für Glasgemälde zahl-
reiche undatierte, kleinformatige Pastelle, Hölzels eigentliches
künstlerisches Vermächtnis. Diese ohne Auftrag, in des Künst-
lers Worten als «Kletterübungen» entstandenen Kleinode schei-
nen in ihrer Leuchtkraft mit der farbigen Transparenz der Glas-
fenster zu wetteifern.
Von den drei Pastellen der Liechtensteinischen Staatlichen Kunst-
sammlung sei hier dasjenige mit Signatur und gegenständlichem
Motiv vorgestellt.‘ Im Vergleich zu manchen kleinteilig und
teppichartig gemusterten Arbeiten verleihen hier grosszügig be-
messene, vom Graphitstift begrenzte Farbflächen dem kleinen
Blatt fast monumentale Wirkung. Der Kopf der Figur schreibt
sich nahtlos in den Umriss ein, der von der aufgestützten Hand
am linken Rand zur Hand am rechten Rand verläuft, auf diese
Weise das Segment eines Ovals bildend. Der zusammenfassen-
de Kontur sowie die oft in der Bildmitte angeordneten Kreis-
und Ovalformen sind häufig wiederkehrende, schon an den
Gemälden der Dachauer Zeit zu beobachtende Bildelemente.
Die Haltung der Figur ist nicht eindeutig zu bestimmen: Sitzt,
kniet oder kauert sie? Diese Unbestimmtheit ist Kalkül: Für
Hölzel, der schon 1905 mit der Komposition in Rot die Grenze
des Gegenständlichen überschritten hat,* liegt der Reiz eines
Werkes gerade in der Verschleierung, im Schwanken zwischen
Figuration und Abstraktion, eine Ansicht, die er in folgende
Worte fasst: «Durch einen gewissen Zusammenhang und Aus-
druck der künstlerischen Mittel kann die Phantasie traumartig
angeregt werden. Es tritt aber sofort eine Ernüchterung ein,
wenn das Gegenständliche zu scharf und klar erscheint. — Wol-
len wir im Bilde träumen, dann dürfen wir die nüchterne Wirk-
lichkeit nicht zu stark betonen.»* In der Haltung der Figur klingt
von ferne das Thema der Anbetung an, seit etwa 1907 ein
eigentliches Leitmotiv und eine Metapher für Hölzels Überzeu-
gung, dass der künstlerische Akt eine besondere Form des Gottes-
dienstes sei.“ In dieser Hinsicht stehen Hölzels Pastelle den Me-
ditationsbildern Jawlenskys nahe.
Das eigentliche Thema dieser Blätter ist jedoch ein formales: die
Orchestrierung der Farbe zu einer Symphonie, in der die reinen,
ungemischten Farbtöne der Pastellkreiden sich gegenseitig zum
Klingen bringen. Adolf Hölzels Lehre von den Farbkontrasten
hat hier ihre überzeugende Ausprägung gefunden. Dass die Viel-
zahl der Blätter — es müssen gegen 1500 sein — keineswegs eine
Verarmung zu stereotypen akademischen Etüden bedeutet, be-
legt deren erstaunliche Variationsbreite.® Der rationale Theoreti-
ker ist hier mit dem intuitiven Künstler eine glückliche Verbin-
dung eingegangen. PM.
Adolf Hölzel. Pastelle und Zeichnungen, Ausst.-Kat. Galerie Römer. Zürich, 1988
Kat. Nr. 71, Taf. 54.
Venzmer, Wolfgang: Adolf Hölzel. Leben und Werk. Stuttgart, 1988, 5. 247,
Kat. Nr. ÖNI 6.6, Taf. 75.
Ebd., S. 140.
Ebd., 5. 86 u. 88.
Ebd., S. 136.