George Grosz (1893-1959)
Schmeling Bewunderer, 1936
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Feder und Pinsel in Tusche über Bleistift
59 X 46 cm
LSK 80.10
Den Hintergrund zu George Grosz’ überraschend zurückhalten-
der Zeichnung liefert eine Sensation, die wie kaum eine andere
des Jahres in den USA und in Europa Aufsehen erregt: Am 19
Juni 1936 wird Max Schmeling mit einem Schlag zur Boxlegende,
als er, dem keine Chance eingeräumt worden war, in New York
den zum Mythos emporstilisierten jungen Amerikaner Joe Louis
‘n der 12. Runde k.o. schlägt.‘ Der Kampf ist nicht zuletzt des-
1alb ein vielbeachtetes Ereignis, weil beide Boxer von der Poli
uk vereinnahmt worden sind. Das Regime des Nationalsozialis-
mus überhöht den Sieg des Deutschen zum Sieg des weissen
Mannes über die minderwärtige schwarze Rasse. Hitler gratu-
iert per Telegramm. Die Amerikaner empfinden die Niederlage
als nationale Kränkung. Roosevelts Besuch im Trainingslager
von Louis hat die ihm zugedachte Wirkung verfehlt.
Für den seit 1933 in New York lebenden Grosz ist Schmeling kein
Jnbekannter. In Berlin hat er 1926 im Auftrag von Alfred Flecht-
ı1eim — Sammler, Galerist, Kunsthändler und Förderer nicht nur
der modernen französischen Kunst, sondern ebenso «des neuer-
standenen deutschen Boxsports» — den deutschen Meister por-
rätiert.” Der von Flechtheim herausgegebene Querschnitt befasst
sich in den Anfangsjahren mit kaum einem Thema so konsequent
wie mit der Beziehung zwischen dem Boxsport und der Kunst.
«Der Querschnitt hält es für seine Pflicht», schreibt der Heraus-
zeber, «den Boxsport auch in den deutschen Künstlerkreisen po-
yulär zu machen. In Paris sind Braque, Derain, Dufy, Matisse,
Picasso, de Vlaminck begeisterte Anhänger, und Rodin fehlte in
Kaum einem Kampf.» Boxen ist als eine der grossen «mysti-
schen Vergnügungen der Riesenstädte von jenseits des grossen
Teiches» Teil des «amerikanischen Traums».* Als Metapher des
„ebens wird er für zahlreiche Künstler und Autoren Thema und
Beschäftigung. In den Sog dieser Verklärung gerät auch Grosz.
Jiesmal aber steht nicht der gefeierte Boxer im Zentrum. Den
Kernpunkt seines Interesses benennt Grosz in erhitztem Enthu-
siasmus nach dem ersten Treffen mit Schmeling in New York:
«Toll interessant: wir sahen ihn dann showboxing — schreibe dar-
über, Typen — einfach toll. Echt Amerika...».” Den «amerikani-
schen Typen» im Umkreis des Boxsports gilt die Begeisterung
des Zeichners. Nicht erst hier tritt für Grosz das Individuelle zu-
gunsten der Personifikation bestimmten gesellschaftlichen Ver
haltens zurück.
Schmeling, verkürzt auf den kantigen Kontur seines Profils, ist
das Idol, das Bild im Bild. Von ihm geht die Welle aus, die die
Menschenmenge formt und in der das Wogen des ganzen Sta-
dions aufgehoben scheint. Grosz fängt mit dieser Bildidee die
Spannung ein und benennt zugleich das Objekt der Zuwendung
der scheinbar ins Leere starrenden Menge. Doch das Interesse
ist ambivalent: Die Abkehr vom Bild bedeutet auch die Abwen-
dung vom Idol Schmeling selbst und verweist auf den Zweifel,
den das Publikum hegen mag. Nicht von mitfiebernder Begei-
sterung erzählen denn auch die Gesichter. Der Ausdruck der
gaffenden, typisierten Köpfe schwankt zwischen Skepsis, Stau-
nen und Sensationslust. Die in ihrer karikierenden Absicht an
Hogarth’ Kupferstich Characters and Caricaturas (1743) erin-
nernde Zeichnung lässt sich wie Grosz’ desillusionierte Ein-
schätzung der Masse lesen: Diese erscheint als «Material», das
geformt werden kann. Ihren Rückzug in die Zerstreuung streicht
Grosz 1937 in einem Gedicht ironisierend als Ursache ihrer Ver-
einnahmung durch jedwelche Ideologie heraus: «Dem Volk
blieb das alles unbekannt,/Das liebte sein Kino und Maxe
Schmeling,/Und las den <Angriff> und wusste wening».‘ M.S.
Für alle Informationen im Zusammenhang mit dem Kampf vgl. Wondratschek,
Wolf: Danke, Schmeling. In: Menschen — Orte — Fäuste, Zürich, 1987, S.45f£.
Das Bildnis befand sich 1932 offenbar noch im Besitz von Grosz. Nach seinem
Besuch in Schmelings Trainingslager 1932 in New York bittet Grosz seine Frau
«Schmelingbild raussuchen, steht oben Hängeboden.» Brief an Eva Grosz vom
6.6.1932 aus New York. In: George Grosz: Briefe 1913-1959, Hrsg. Herbert Knust.
Hamburg, 1979, S. 135.
Der Querschnitt durch 1921. Hrsg. Alfred Flechtheim. Berlin/Düsseldorf/Frankfurt
a. M., 1922, S. 221.
Aussage von Bertolt Brecht, zit. nach Molchow, Wolfgang: «Erstens, vergesst nicht,
kommt das Fressen. — Drittens das Boxen nicht vergessen». In: Magazin der
27. Berliner Festwochen 1977. Spiegel der 20er Jahre, S. 183.
Wie Anm. 3, 5.135.
Grosz, George: Ach knallige Welt, du Lunapark. Gesammelte Gedichte, München/
Wien, 1986, 5. 95. «Der Angriff», Tageszeitung der Deutschen Arbeitsfront (offi-
zielles Presseorgan der NSDAP).