Volltext: Fünf Jahrhunderte italienische Kunst aus den Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein

Kat. Nr. 39 
ALESSANDRO MAGNASCO (1667-1749) 
«EIN MÖNCHSBEGRÄBNIS» 
Leinwand; 93,1 X 132,3 cm 
Inv. Nr. G 250 
Provenienz: Sammlung Melchior von Birkenstock, Wien, bis 1820 
Erworben: 1820 durch Fürst Johannes IL 
In seinen fast unzähligen, häufig in Sequenzen und Wiederho- 
lungen angelegten Gemälden 1äßt Magnasco eine ausgeprägte 
Neigung zu den Schatten- und Nachtseiten der menschlichen 
Existenz erkennen, ein tiefgreifendes Interesse an den Bewoh- 
nern gesellschaftlicher «Randgebiete», an Einsiedlern und 
Mönchen, Gauklern und Zigeunern, an Soldaten und Räubern. 
Inquisitoren und Folteropfern. 
So auch im vorliegenden «Mönchsbegräbnis». Karthäuser oder 
Kamaldulenser in weißem Habit tragen einen verstorbenen 
Ordensbruder auf einer Bahre zum Grab, das eben mit Schau- 
jeln ausgehoben wird. Eine doppelsäulige Bogenreihe, die mit 
Bischofsbüsten verziert ist, begrenzt den «Camposanto», den 
Klosterfriedhof, in dessen Grund paarweise sich kreuzende, im 
Absterben begriffene Bäume wurzeln, deren Grün nur wenig 
Hoffnung auf ein mögliches Weiterleben verheißt. Scheinbar 
wahllos sind Kreuze im steinigen Boden verteilt. Sie deuten auf 
Gräber, denen keine Pflege zukommt. Ein dunkler Himmel ruht 
über der Szene, auf die ein fahles, kaum identifizierbares Licht 
fällt. Es 1äßt die manieriert überlängten Gestalten der Mönche 
wie Lemuren aufscheinen, die marionettenhaft mechanisch ihre 
Handlungen vollziehen. Wenig Individuelles charakterisiert sie, 
selbst dort, wo Gesichter erkennbar sind. Tracht und Tonsut 
nivellieren ihre Unterschiede und machen den Einzelnen zum 
anonymen Mitglied einer durch Regel und Ritual beherrschten 
Ordensgemeinschaft. Der Tote wird mit letzten, formelhaft aus 
Büchern vorgetragenen Gebeten begleitet, und die Lebenden 
unterscheiden sich von diesem allein durch ihre aufrechte Kör. 
perhaltung. Man glaubt ihr monotones Murmeln zu hören, das 
nur vom metallisch harten Klang der rhythmisch in die Erde ein- 
dringenden Schaufeln unterbrochen wird. Das Grab ist noch 
nicht fertig, weshalb die Bahre, der drei Mönche mit Vortrage- 
kreuz und brennenden Kerzen voranstehen, abgestellt wurde. 
Dem Liegemotiv des Toten setzt Magnasco kontrapunktisch die 
sich senkrecht hinter ihm auf einem hohen Postament erhe- 
bende, von einem Kreuz bekrönte Säule entgegen, die wie eine 
übersteigerte, hoheitsvolle Metapher des christlichen Glaubens 
erscheint. Die Säule hat, wie auch jene der Arkaden, eine 
korinthische Ordnung und läßt an die bei Vitruv! erzählte Ent- 
stehung des nach seinem griechischen Ursprungsort benannten 
Kapitells in der Folge eines Begräbnisses denken. Zu Füßen deı 
Säule, auf der Oberkante des Postamentes, liegt kaum sichtba: 
ein Schädel, gleichsam als Reminiszenz an Golgatha. Das 
Kreuz, das der Verstorbene mit seinen Händen auf die Brust 
gedrückt hält, vermag hier kaum Trost zu spenden. Fremd und 
gespenstisch wirkt der Ort, von dem nur schwer vorstellbar ist, 
er gewähre den toten Seelen bis zum Tage des Jüngsten Gerich: 
tes, bis zu ihrer Auferstehung Ruhe und Frieden. Die unsteı 
flackernde Erscheinungshaftigkeit der Mönche mag als äußere; 
Hinweis auf einen Zustand innerer Besorgnis verstanden wer 
den, der in der Frage gründet, ob dem Menschen, auch bei got- 
testreuer Lebensführung, die im Christentum verheißene Erlö- 
sung wirklich zuteil werde. Es hat den Anschein, als seien die 
Mönche, jeder für sich, mit dieser Frage allein gelassen. 
Sowohl die Bildthemen, als auch die Handschrift, mit der sie 
vorgetragen werden, zeichnen Magnasco als singuläre Künst- 
lerpersönlichkeit des späten 17. und der ersten Hälfte des 18 
Jahrhunderts aus, Im Unterschied zu anderen Werken de: 
Barock mit religiösem Inhalt, die Magnascos Schaffen voraus: 
gehen oder es zeitgenössisch begleiten, eignet den seinen ein 
herb düsterer, nicht selten grotesk makaberer Grundton, dem 
jedes heroische oder triumphale Pathos fehlt. Nichts deutet hin 
auf ein Gefühl verläßlichen Aufgehobenseins im Glauben. Der 
Einzelnen umgibt, auch in Gemeinschaft, eine Aura tiefer Ein- 
samkeit. Und fast sieht es so aus, als drohe dem Individuum. 
aller Vereinsamung zum scheinbaren Trotz, in der Gemein- 
schaft, die schnell den Charakter der Masse annimmt, die phy- 
sische Auflösung. Diesen Eindruck forciert Magnasco durch 
eine nervöse, schneller Gestik folgende Pinselführung, die 
Mensch und Gegenstand eine klar und sicher umrissene Kör- 
perlichkeit verweigert. Von motorischer Unruhe und geistiger 
Skepsis ist die Hand des Künstlers getrieben. Wie begründet 
vermutet wird, fand Magnasco, jeder Sinnenfreude und Senti- 
mentalität abhold, in den Ideen des Quietismus religiösen 
Zuspruch?. 
Die schnelle und bei aller Spontaneität gleichwohl äußerst rou- 
tinierte Malweise Magnascos erlaubte eine variantenreiche Aus- 
formung verschiedenster Bildthemen. Auch das liechtensteini- 
sche Gemälde liegt in zwei weiteren, nahezu identischen 
Fassungen vor, wie z.B. jene im Museo Civico in Bassano del 
Grappa, die einst mit Salvator Rosa in Verbindung gebracht 
wurde, Die gleiche Figurengruppe erscheint auch vor freier 
Landschaft”, welche, wie Geiger vermutet, von der Hand Carlo 
Antonio Tavellas stammt. Die Entstehung dieser Gemälde ist 
wohl in die ersten beiden Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts zu 
datieren. 
In Genua gebürtig, ging Magnasco 1677 nach Mailand, wo er 
von Klerus und Adel zahlreiche Aufträge erhielt. Zwischen 
1703 und 1711 hielt er sich in Florenz am Hofe des Großherzogs 
Cosimo IHM. de’ Medici auf. Über Mailand ging er 1735 nach 
Genua zurück, Die Wiederentdeckung des früh in Vergessenheit 
geratenen Malers war eine Leistung des 20. Jahrhunderts. 
U.W 
' Vitruv, Zehn Bücher über Architektur, übersetzt und mit Anmerkungen 
versehen von Dr. Curt Fensterbusch, Darmstadt 1976, S. 173. 
Der römische Architekt und Ingenieur Vitruv widmete seinen Architektur- 
traktat dem Kaiser Augustus. 
' Siehe G. G. Syamken, Die Bildinhalte des Alessandro Magnasco 1667-1749 
Hamburg 1965, S. 134. 
‘ Siehe Geiger, 1914, Nr. 19, sowie Sotheby’s, London, April 1989, Nr. 15. 
Ausstellung und Literatur: Seite 155
	        

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.