Volltext: Fünf Jahrhunderte italienische Kunst aus den Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein

Kat. Nr. 34 
CIRO FERRI (1634-1689) 
«CHRISTUS UND DIE SAMARITERIN 
AM BRUNNEN» 
Leinwand; 70,8 X 53,2 cm 
Inv. Nr. G 267 
Erworben: vermutlich vor 1712 durch Fürst Johann Adam Andreas I. 
Verkauft: 1922 
Erneut erworben: 1986 durch Fürst Franz Josef II. 
Ciro Ferris Bedeutung in der Geschichte der italienischen, ins- 
5esondere römischen Barockmalerei beruht vornehmlich auf 
seinen monumentalen Dekorationsgestaltungen. Fresken in 
Palästen und Kirchen in Rom und auch Florenz führte er 
zunächst noch als Mitarbeiter in der Werkstatt seines Lehrers 
Pietro da Cortona aus. Später, nach dem Tode des Meisters, rea- 
lisierte er, oft in enger Anlehnung an dessen Vorbild, auch 
eigene Entwürfe. Bis ins oberitalienische Bergamo führten ihn 
schließlich Aufträge des Klerus für Fresken. 
Staffeleibilder finden sich in seinem Oeuvre nur in mäßiger Zahl 
und meist, wie auch hier, mit religiösen Sujets. Von der «Begeg- 
ung Christi mit der Samariterin» wird im Evangelium des 
Johannes berichtet. Ähnlich dem «Noli me tangere» und der 
«Hochzeit Jakobs und Rahels» auf anderen Gemälden Ferris, ist 
diese biblische Szene zugleich auch die einer Begegnung von 
Mann und Frau. 
Die gestalterische und malerische Raffinesse dieser Kompo- 
sition ist das Resultat einer durchdachten Auseinandersetzung 
mit dem Thema. Schon Pietro da Cortona hatte 1628 in der 
Kapelle der Villa Sacchetti in Castel Fusano unter bolognesi- 
schem Einfluß ein landschaftsmalerisches, luftiges Fresko 
geschaffen. Die Samariterin lehnt hier ruhig am Brunnenrand 
und wendet sich dem Fremden zu, dessen ausgestreckter Arm in 
die Tiefe des Bildes auf die Stadt weist, aus der soeben die Jün- 
ger zurückkehren. Ferris wohl in den sechziger Jahren entstan- 
dene Zeichnung (Vaduz, Stiftung Ratjen) ist in Figurentypus 
und Komposition noch geprägt von der Anlehnung an den Leh- 
rer. Erst mit dem liechtensteinischen Gemälde, das möglicher- 
weise im Zusammenhang steht mit einem Eintrag in den Rech- 
nungsbüchern der römischen Familie Barberini, demzufolge 
Ferri am 12. Februar 1677 50 scudi als Entlohnung für ein 
Gemälde der Samariterin erhielt!, scheint er eine eigene und 
zouveräne Formulierung gefunden zu haben. 
Der kleinere Bildausschnitt mit dem knapp bemessenen Vorder- 
grund rückt die Figuren, die nun im Verhältnis zur Landschaft 
monumentalisiert wirken, dem Betrachter nahe. Durch Ver- 
:auschung der Positionen im Bild — die weibliche Figur 
erscheint jetzt auf der rechten Bildseite unmittelbar im Vorder- 
grund, während Christus in räumlicher Verschränkung mit der 
Brunnenarchitektur der Mittelgrund und die linke Bildseite 
zugewiesen wird — erreicht Ferri eine fast unerwartete Verdich- 
ung des szenischen Gehalts. Die Begegnung, die nach einer 
anfänglichen Fremdheit und dem Mißtrauen der Samariterin 
schließlich in Einverständnis mündet — die Frau erkennt den 
Messias und bezeugt die Erlösunegsmacht des christlichen Glau- 
bens, hier gleichnishaft durch das Brunnenwasser als dem Sym: 
bol der Quelle des ewigen Lebens dargestellt — ist bis ins Detai] 
sorgsam inszeniert. Die Bildfläche ist genau in zwei gleiche 
Hälften geschieden. Der Samariterin rechts ist als Städterin und 
«Weib» die gemauerte Architektur, das «Gefäß» für das Brun- 
nenwasser zugeordnet, während Christus auf der linken Bild- 
hälfte baldachinartig von dem sich leicht neigenden Baum 
beschirmt wird. Erst in der Bildmitte stoßen die beiden Sphären 
zusammen und der weiße Ärmelstoff der Samariterin verbindet 
sich unmittelbar mit der Draperie des blauen Obergewandes 
Christi, der doch jenseits des Brunnens sitzt. Der kupferne 
Schöpfkrug zu Füßen der Figuren steht auf dieser kompositio- 
aellen Schnittlinie und wirkt auch in der Wiederholung der run- 
den Brunnenform wie ein Symbol für die Verwandlung des 
Getrennten in ein Ganzes. Von solcher Vereinigung sprechen 
auch die formalen Zuordnungen der Komposition, denn sie 
beruhen auf Verschränkungen und Übereinstimmungen. So 
vollzieht sich im Bildhintergrund ein Wechsel der Attribute. Die 
Stadtarchitektur wird nun Christus zugeordnet. Natur, in Gestalt 
des Baumgrüns, hinterfängt den Kopf der Samariterin. Diesem 
Wechselspiel folgt auch die Farbikonographie. Der warme Kup- 
ferton der Gefäße wiederholt sich in der Farbe des Samariterin- 
nengewandes, während das Himmelsblau in der strahlenden 
Farbe des Christusmantels wiederkehrt. Diese Balancen wirken 
als harmonische Übereinkunft der Figuren selbst, so daß die 
neutestamentliche Szene hier, auch wegen des fehlenden Chri- 
stusnimbus, wie ein Liebesbild anmutet. Es scheint, als hätte das 
Gnadenversprechen der Religion, das die Welt in Gestalt des 
Messias erhalten hat, im Bild der Liebesharmonie dieses Paares 
seine Einlösung gefunden. Hier zeigt sich vielleicht ein schon 
cetrospektiv wirkender Einfluß venezianischer Cinquecento- 
malerei, die in den römisch barocken Galeriewerken einen 
Wandel und die Abkehr vom noch caravaggesk-expressiven 
Darstellungsideal mit seinen erregten und ekstatischen Szenen 
2rmöglichte. Auch in diesem Begegnungsbild wirkt in Gestik. 
gegenseitiger Hinwendung der Figuren und ihrer ruhigen, statt- 
lichen Präsenz die Erinnerung an Veronese, Möglicherweise 
war Ferri im Anschluß an den Auftrag in Bergamo 1667/68 ir 
Venedig. Francesco Baldinucci berichtet von dessen veneziani- 
schen Studien, die speziell Paolo Veronese gegolten hätten?. 
M.HEH. 
Vgl. Davis, B.W., The Drawings of Ciro Ferri, New York/London 1986. S. 34 
' Ders. S. 18 
_iteratur: Seite 154
	        

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