Kat. Nr. 33
LORENZO PASINELLT (1629-1700)
«DIE HEILIGE MARIA» (ca. 1685)
Leinwand; 95 X 76,8 cm
inv. Nr. G 25
Erworben: vermutlich vor 1712 durch Fürst Johann Adam Andreas I.
Die aus jedem szenischen Zusammenhang herausgelöste, als
singuläre Halbfigur erscheinende Gottesmutter hat ihre Ur-
sprünge in der niederländischen Malerei des 15. Jahrhunderts!.
Dort wird sie als Trauernde geschildert, und nicht selten ist ihr
der dornengekrönte Christus als Pendant zur Seite gestellt, um
den Maria betend ihre Tränen vergießt.
In Kenntnis niederländischer Vorbilder malt der in Süditalien
ınd Venedig tätige Antonello da Messina um 1473/74 eine
«Maria der Verkündigung»*, auch sie in Gestalt einer vereinzel-
ten Halbfigur. Der inhaltliche Bezug auf Christus, beziehungs-
weise auf den die frohe Botschaft verkündenden Engel bleibt
trotz Vereinzelung gewahrt, und schon die Blickrichtung der
Augen verdeutlicht, daß ein konkretes Gegenüber die Ursache
von Ausdruck und Gebärde ist. Pasinellis Gemälde weist im
Vergleich zu solch frühen Beispielen erhebliche, den Bildsinn
verändernde Unterschiede auf. Mit über der Brust gekreuzten
Händen wendet Maria Gesicht und Blick nach oben. Vor einem
unbestimmt ockerbraunen Grund steigert sich die Lichtfülle der
Farben vom dunklen Blau des Mantels über das warme Rot des
Kleides bis hin zum leuchtenden Gelb des Tuches. Zarthelles
Licht umstrahlt den Kopf. Auch Antonellos Maria kreuzt, als
Zeugnis ihrer Demut, die Hände vor der Brust, und Demut kenn-
zeichnet in nicht geringerem Maße Pasinellis Gottesmutter,
doch sind ihre Sinne auf ein anderes, jenseitiges Ziel gerichtet,
acht auf den Engel der Verkündigung, sondern auf Gott im
Himmel, der sich in hellem Licht manifestiert. Der Ausdruck
ihres Gesichtes ist ernst, aber unbetrübt, nicht trauernd, so daß
hier wohl ebenso wenig an eine Schmerzensmutter gedacht
werden kann.
Die Darstellung Marias mit vor der Brust gekreuzten Armen und
ılmmelwärts schauenden Augen ist in Gemälden Guido Renis
vorformuliert und dort in unterschiedlichem Zusammenhang
verwendet: etwa in der «Marienkrönung» von 1595 (Bologna,
Pinacoteca Nazionale), in der «Himmelfahrt Mariae» von
1599/1600 (Pieve di Cento, Chiesa Parrocchiale), oder in der
«Disputä über die Unbefleckte Empfängnis» von 1624/25
(St. Petersburg, Eremitage). Schließlich malt Reni Maria auch als
halbfigurige Einzelgestalt (Rom, Privatsammlung)%. Gemein-
sam ist allen diesen Darstellungen, neben Haltung und
Blickrichtung, die letztlich wohl auf Tizians «Büßende Magda-
lena» zurückgehen, ein Zustand demutsvoller Verklärung, von
welchem Maria, den irdischen Bezügen entrückt, erfaßt ist.
Pasinelli hat diesen Typus aufgegriffen. Bar jeglichen Zusam-
menhanges und ohne jedes Attribut tritt Maria, jenseits von Welt
und Zeit, als gen Himmel gerichtetes, von göttlichem Licht
erleuchtetes Wesen in Erscheinung, dessen tiefe religiöse
Bedeutung in der durch Gottes Gnade und Geist verursachten,
von aller Erbsünde freien Mutterschaft Christi begründet liegt.
Zugleich aber veranschaulicht Pasinelli in Maria die Fürbitterin
der Menschheit, die Helferin in Not und Bedrängnis, welche
im Bild zum Gegenstand spiritueller Verehrung und Andach:
erhoben wird.
Die Urheberschaft Pasinellis für das liechtensteinische Gemälde
war stets unzweifelhaft und wird erstmals bei Fanti bekundet
Die Entstehung des Gemäldes hängt vermutlich auf das engste
mit der 1685 von Pasinelli im Auftrag des Fürsten Johann Adam
Andreas I. gemalten «Magdalena» (Schloß Feldsberg) zusam-
men. Ob der Fürst zur gleichen Zeit auch die «Heilige Maria» in
Auftrag gab oder ob diese auf anderem Wege in die Sammlun-
gen kam, ist ungewiß. Jedenfalls weist das Gemälde auf seiner
Vorderseite das liechtensteinische Vormundschaftssiegel von
1733 auf* und geht daher mit großer Wahrscheinlichkeit auf die
Fideikommißgalerie des Fürsten Johann Adam zurück.
Über das Leben Lorenzo Pasinellis berichtet sein Schüler und
Biograph Gian Pietro Zanotti. Aus der im Jahre 1703 verfaßten
Vita® geht hervor, daß der 1629 in Bologna geborene Maler
zunächst bei Simone Cantarini, dem wichtigsten Nachfolger
Guido Renis in der bolognesischen Malerei, ab 1648 bei Flami-
nio Torre in die Lehre gegangen sei. Reisen führten ihn nach
Mantua, Turin und Rom. In Venedig, wohin er kurz nach 1663
ging, habe sich, wie Zanotti berichtet, Pasinellis Stil geändert.
Seine an Raffael und der Reni-Schule entwickelte Formenspra-
che wird nun durch ein warmes und lichterfülltes venezianisches
Kolorit bereichert. Ab 1671 wieder in Bologna ansässig, gehörte
Pasinelli, laut Zanotti von eher melancholischem Temperament
ınd wenig auf äußeren Erfolg bedacht, neben Carlo Cignani und
Domenico Canuti, zu den führenden bolognesischen Malern der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. U.W
Z. B. Dieric Bouts (gest. 1475), Trauernde Jungfrau, Genf, Privatsammlung;
siehe M.J. Friedländer, Dieric Bouts and Joos van Gent, Leiden 1968, Tafel 93
München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 8054.
Siehe D.S. Pepper, Guido Reni, Oxford 1984, S. 288, Nr. 193.
' Siehe Kat. Nr. 14, Anm. 3.
'G. P. Zanotti, Nuovo Fregio di Gloria a Felsina Sempre Pittrice nella Vita di
Lorenzo Pasinelli Pittor Bolognese, Bologna 1703.
Ausstellung und Literatur: Seite 154